Abschied vom AltstadtBus
In diesen Tagen fährt die Linie 4 letztmals in die Obere Altstadt. Die Entscheidung hatte Kritik von mehreren Seiten ausgelöst. Doch wird das Angebot wirklich gebraucht? Zwei Runden im Bus
Neuburg Da steht jemand an der Haltestelle. Die ältere Frau winkt sogar mit ihrem Gehstock, um nicht übersehen zu werden. „Achtung, ein Fahrgast“, sagt Ronny Haferburg. Dass er bremsen und am Fahrbahnrand anhalten muss, hat an diesem frühen Dienstagnachmittag Seltenheitswert. Der Stadtbus, den Haferburg durch Neuburg mitsamt der Oberen Altstadt lenkt, ist auf dieser Runde ansonsten durchgehend leer. Da dies mehr Regel als Ausnahme ist, hat die Stadt entschieden, dass die Linie 4 ab September nicht mehr die Obere Altstadt anfährt. Der Dienstag war theoretisch der letzte Tag, an dem der Bus Richtung Amtsgericht und Karlsplatz aufbricht. Mittlerweile ist klar: Voraussichtlich bis zum 13. September wird das Angebot aus organisatorischen Gründen noch aufrechterhalten. Die Neuburger Rundschau ist zum (Fast-)Abschied zwei Runden lang mitgefahren.
Los geht es am Spitalplatz. Der Bus Richtung Kreuzberg ist komplett leer. Ein Zustand, der sich in der nächsten halben Stunde nicht ändern wird. Er könne die Entscheidung der Stadt nachvollziehen, sagt Haferburg. Fährt er die Linie 4 in die Altstadt, sitzt er meistens alleine in dem kleinen Sprinter. Oft steigt den ganzen Tag, wenn überhaupt, nur ein einziger Fahrgast ein, erzählt er. „Wenn es zwei am Tag sind, ist es schon viel.“
Diesen Eindruck untermauern Zahlen der Stadtwerke. Im Durchschnitt nutzen 0,6 Passagiere täglich den Bus – bei Kosten von 100.000 Euro im Jahr. Jetzt haben die Verantwortlichen die Reißleine gezogen.
Die, die mitfahren, seien meistens dieselben, sagt Haferburg. Kurz hält er inne, schaut nach rechts und links, und überquert die Luitpoldstraße. „Ältere Menschen, die zum Einkaufen fahren.“Es geht den Berg hinauf. Ein Lastwagen kommt entgegen, Haferburg muss den Bus präzise an ihm vorbeisteuern. „Es ist sehr eng in der Altstadt“, sagt er. Autos oder Lastwagen, die halb auf der Straße stehen, hätten ihm immer wieder den Weg versperrt. Im schlimmsten Fall, falls er gar nicht durchkam, musste er wenden und
Altstadt von der anderen Seite anfahren. Heute gibt es keine Probleme. Dafür kam man sich auf eine andere Eigenart der Altstadt konzentrieren: Das Poltern des Busses über das Kopfsteinpflaster. „Die Stoßdämpfer waren schon mehrfach kaputt“, berichtet Haferburg, der seit fünf Jahren Bus in Neuburg fährt.
Es geht vorbei am Amtsgericht, am Schloss, und am Karlsplatz. Nirgendwo möchte jemand einsteigen. „Vielleicht da vorne“, sagt Haferdie burg. An der Haltestelle St. Peter würde immer wieder jemand stehen – heute nicht. Hat er seinen Bus mit jeweils 13 Sitz- und Stehplätzen schon einmal voll durch die Altstadt gefahren? „Nie“, sagt Haferburg, nicht einmal im Ansatz. Ein, zwei Menschen, mehr seien es nicht. Macht es ihm eigentlich etwas aus, wenn er leer und damit „umsonst“fährt? Natürlich sei es schöner, Leute mitzunehmen, mit manchen könne er nett plaudern, sagt der 45-Jährige. „Aber manchmal fahre ich eben alleine.“
Trotz der nachweislich geringen Auslastung löste die Entscheidung, den Bus nicht mehr über die Altstadt fahren zu lassen, Kritik aus. Von einem „völlig falschen Signal“sprach Grünen-Stadtrat Gerhard Schoder. Auch die SPD wollte den Beschluss aufheben. Renate Wicher, die Vorsitzende des Neuburger Seniorenbeirats, war nach eigenen Angaben „entsetzt“, schließlich seien gerade ältere Menschen in der Altstadt zum Teil auf den Bus angewiesen. Es half alles nichts. Oberbürgermeister Bernhard Gmehling sieht angesichts der verschwindend geringen Nutzerzahlen die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gegeben. Und auch der Werkausschuss untermauerte die Entscheidung mit einer erneuten Abstimmung. Die „Trostpflaster“für die Altstadt-Bewohner: Sie können Anrufsammeltaxis nutzen, außerdem eine neue „Touristiklinie“, die ab Frühjahr 2022 vom Bahnhof aus über die Obere Stadt zum Hofgarten/Spitalplatz und wieder zurück fährt. Ein halbes Jahr wird der Bus zunächst zur Probe fahren. Stimmt die Frequenz nicht, soll auch dieses Angebot wieder eingestampft werden. Der bestehende Stadtbus fährt stattdessen über die Theresienstraße zur Donauwörther Straße, zum neuen Wohngebiet Neuburg-West und zur neuen Paul-Winter-Realschule.
Zurück in der Linie 4. Haferburg lenkt den Donauwörther Berg hinauf, wieder hinunter, immer noch ohne Fahrgäste. Über den Spitalplatz steuert er die Grundschule am Englischen Garten an. Kurze Pause. Dann geht es weiter als Linie 5, über Ried und Laisacker. Dort, an der Haltestelle Seestraße, steigt erstmals nach einer halben Stunde jemand zu – die ältere Frau, die den Bus mit ihrem Gehstock heranwinkt. Sie könne es einerseits nachvollziehen, dass die Linie 4 nicht wie bisher weiterfährt, sagt sie. Andererseits könne sie auch verstehen, dass Bewohner der Altstadt nicht mit dieser Entscheidung einverstanden sind. Und bräuchte sie den Bus selbst auch mal? Grundsätzlich würde sie gerne ab und zu in die Altstadt fahren, etwa ins Theater. „Aber wenn ich dorthin will, fährt der Bus sowieso nicht mehr“, spielt sie auf den abends und am Wochenende ausgedünnten Fahrplan an.
Fahrerwechsel. Am Spitalplatz übernimmt Bajram Sulejmani den Platz am Steuer. Die Anzeige über dem Fahrer springt wieder auf Linie 4. „Diese Linie ist ganz schwach“, bestätigt er. Immerhin: Auf seiner Tour durch die Altstadt fahren diesmal drei Fahrgäste mit. Ein Mann, der zum Donauwörther Berg muss. Und die Geschwister Tabea (10) und Marc (8), die ihre Oma besuchen. Alle drei betonen: Dass der Stadtbus nicht mehr durch die Obere Altstadt fährt, trifft sie in ihrem Alltag kaum bis gar nicht.