Rettungsaktion startet dramatisch
Schusswechsel an den Eingängen zum Flughafen. Panik und Verzweiflung auf dem Rollfeld. Stundenlange Warteschleifen über Kabul. Der Auftakt der Bundeswehr-Aktion war vor allem eines – gefährlich
Kabul/Berlin Dass es gefährlich werden würde, war klar. Aber so dramatisch hat sich die Bundeswehr den Auftakt ihres bisher größten Evakuierungseinsatzes wohl doch nicht vorgestellt. Fünf Stunden kreiste die Transportmaschine vom Typ A 400 M am Montagabend über dem Flughafen Kabul, auf dem sich den ganzen Tag über dramatische Szenen abgespielt hatten. Verzweifelte Afghanen versuchten in Flugzeuge einzudringen oder sich an sie zu hängen. An den Zugängen zum Airport wurde geschossen.
Die Landebahn wurde von Menschen in Panik blockiert. Um 22 Uhr, mit fast leerem Tank, konnte die graue Bundeswehr-Maschine dann doch noch auf dem militärischen Teil des Flughafens Kabul aufsetzen. Fallschirmjäger der Division Schnelle Kräfte, die die Evakuierung absichern sollen, wurden abgesetzt. Einsteigen konnten aber nur sieben von den Tausenden, die sich vor den militant-islamistischen Taliban in Sicherheit bringen wollen und es auf die Ausreiseliste des Auswärtigen Amts geschafft haben: fünf Deutsche, ein Afghane und eine Person aus einem anderen europäischen Land. Die anderen wurden von Sicherheitskräften aus dem zivilen Teil des Flughafens nicht auf das Rollfeld gelassen, so erklärte es das Auswärtige Amt später. Nach einer halben Stunde musste die Maschine wieder abheben, zum Drehkreuz im usbekischen Taschkent, von wo aus es mit einer Lufthansa-Maschine so schnell wie möglich weiter nach Deutschland gehen soll.
Der Airbus ist offiziell für 114 Passagiere ausgelegt. Es heißt aber, dass während der Evakuierungsaktion bis zu 150 Menschen transportiert werden könnten. Verteidigungsministerin Annegret KrampKarrenbauer (CDU) sprach später von einem „echten Husarenstück“der Piloten. Das Flugzeug habe „mitgenommen, was mitzunehmen war“, das seien aber leider nur wenige Menschen gewesen. „Wir nehmen alles mit, was vom Platz her irgendwie in unsere Flugzeuge passt.“
Als am frühen Nachmittag die zweite Landung in Kabul glatter über die Bühne lief und sie darüber während einer Presseunterrichtung informiert wurde, war Kramp-Karrenbauer sichtlich erleichtert. „Maschine gelandet, Touchdown“, verkündete sie umgehend. 125 Personen waren diesmal an Bord. Am frühen Abend kam die Nachricht, dass die ersten Botschaftsmitarbeiter aus Kabul zurückgekehrt seien: Sie landeten mit einer Linienmaschine auf dem Berliner Hauptstadtflughafen. Und am späten Abend teilte Außenminister Heiko Maas mit, dass eine dritte Maschine zur Evakuierung von Deutschen und Ortskräften mit 139 Menschen an Bord gestartet sei. Eine weitere Maschine stehe bereit. Ferner flog die erste Lufthansa-Maschine mit Evakuierten aus Afghanistan an Bord am Dienstagabend vom Bundeswehr-Drehkreuz im usbekischen Taschkent Richtung Frankfurt am Main.
In Kabul hieß es derweil erst mal durchatmen. Es bleibt aber ein gefährlicher Einsatz – mit vielen Risiken und Unwägbarkeiten. Nur sieben Wochen nach ihrem Abzug aus Afghanistan ist die Bundeswehr zurückgekehrt. Und das unter Umständen, die schlimmste Befürchtungen übertreffen: Bis zu 600 Soldaten sollen die Evakuierungsaktion absichern. Darunter sind auch rund 20 Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Die Eliteeinheit war dabei, um die Botschaft in Sicherheitsfragen zu beraten. Nun sichern die Soldaten Seite an Seite mit den Fallschirmjägern der Luftlandebrigade 1 und Feldjägern sowie Sanitätern die Evakuierung deutscher Staatsbürger und ihrer einheimischen Helfer. Insgesamt 300 Soldaten sollen schon in Kabul und Taschkent sein. Sollten es 600 werden, wären es fast schon wieder so viele wie die etwa 1000, die zuletzt während des Ausbildungseinsatzes im nordafghanischen Masar-i-Sharif stationiert waren.
Am Mittwoch wird das Bundeskabinett für sie ein Mandat beschließen, über das dann nächste Woche der Bundestag abstimmen wird. Klar ist: Es wird das, was als „robustes Mandat“bezeichnet wird. Das heißt, die Bundeswehr wird darin mit allem ausgestattet, was sie zur Selbstverteidigung und zum Schutz derjenigen braucht, die sie ausfliegen soll. Wie viel Zeit der Bundeswehr bleibt, um so viele Menschen wie möglich aus Kabul herauszuholen, ist unklar. Im Mandatstext steht der 30. September. Das ist aber großzügig kalkuliert. Die Bundeswehr plant mit zwei Szenarien: Das
Die Maschine landet mit fast leerem Tank
Die Frage ist, wie viel Zeit für die Rettungsflüge bleibt
erste geht davon aus, dass das Chaos am Flughafen bleibt und es nur ein kurzes Zeitfenster für die Rettungsaktion gibt. Das zweite ist das Wunschszenario von Kramp-Karrenbauer: Es bleibt Zeit, um eine echte „Luftbrücke“Kabul–Taschkent–Deutschland aufzubauen.
Das Zittern für diejenigen, die auf der Ausreiseliste des Auswärtigen Amts stehen, geht also weiter. Für sie geht es um Leib und Leben. Die Botschaft warnte in einem Schreiben an deutsche Staatsbürger vor den Gefahren auf dem Weg zum Flughafen. Es gebe Kontrollen der Taliban. „Frauen und Mädchen wird dringend empfohlen, sich bei Bewegungen innerhalb der Stadt an entsprechende Kleidungsvorschriften zu halten.“Im Einzelfall könne es sicherer sein, zu Hause zu bleiben.
Das Auswärtige Amt bemüht sich darum, auch auf US-Maschinen noch deutsche Staatsbürger oder afghanische Ortskräfte unterzubringen. Aber auch die Evakuierung der Amerikaner verläuft dramatischer, als es vorgesehen war. Dies zumindest legen die Bilder der überfüllten Boeing C-17 der US-Luftwaffe nahe, die das Nachrichtenportal Defence One veröffentlichte. 640 Menschen seien darin transportiert worden. Michael Fischer, Carsten Hoffmann und Veronika Eschbacher, dpa