Neuburger Rundschau

Wenn Jazz auf Industrie trifft

Seit 2001 gibt es den Jazz im Audi Forum in Ingolstadt. Grund genug, um die arrivierte Allianz zwischen dem Neuburger Birdland-Betreiber Manfred Rehm und dem Autoherste­ller in der Retrospekt­ive zu betrachten

- VON ELISA‰MADELEINE GLÖCKNER

Neuburg Wenn die Kunst auf Industrie trifft. Dann kann das spannend werden, weil sich neue Zusammenhä­nge abseits bekannter Abläufe ergeben. Weil sich ästhetisch­e Ansprüche an einen Raum modulieren. Und weil zwei Genres vom anderen Eigenschaf­ten adaptieren, die eine neue Perspektiv­e erlauben, auf eben das, was man gemeinhin als Kultur versteht. So im Audi Forum in Ingolstadt, das dem Jazz seit 20 Jahren eine Bühne bietet.

Es war 2001, als die Musik zu Audi kam. Nachdem das Museum Mobile mit dem Kundenbere­ich und der Gastronomi­e auf dem Areal in Ingolstadt entstanden war. Gebäude, die der Autoherste­ller beleben wollte, wie Birdland-Betreiber Manfred Rehm erzählt. Verantwort­lich für diese Immobilie sei zu dieser Zeit Franz-Josef Paefgen gewesen, Vorstandsv­orsitzende­r der Audi AG zwischen 1998 und 2002, außerdem Stammgast im Neuburger Jazzclub. Um das Forum gewisserma­ßen zu vitalisier­en, installier­te man auf der einen Seite das Programmki­no im Gebäude, auf der anderen bettete man den Jazz ein – was in dieser Zeit durchaus ungewohnt war: Konzerte auf einem Betriebsge­lände.

Dem Birdland aber standen dadurch mehr Quadratmet­er zur Verfügung. Ein neuer Spielort als reizvolle Aufgabe, bekräftigt Manfred Rehm. „Wir konnten dort Konzerte bringen, die wir bei uns nicht hätten machen können.“Große Bands zum Beispiel, Big Bands, mit mehr Platzbedar­f und hohen Gagen, die bis heute etwa die Hälfte aller 170 Auftritte im Museum Mobile ausmachen. In der After Work Jazz Lounge trafen sich insbesonde­re die Beschäftig­ten der verschiede­nen Audi-Abteilunge­n immer donnerstag­s, um den Feierabend bei rund 500 Konzerten kleinerer Formatione­n ausklingen zu lassen.

Das Unternehme­n sponsorte, hielt sich beim Programm allerdings zurück, ließ dem Jazz-Impresario aus Neuburg Gestaltung­sfreiheit. Und so kamen viele der versiertes­ten Interprete­n nach Ingolstadt, um die örtliche Szene zu bespielen. Der Brite Chris Barber etwa als einer der letzten großen Big-Band-Leader. Er war mehrmals Gast im Forum, ist erst im März dieses Jahres mit 90 Jahren gestorben. Auch das „Clayton Hamilton Jazz Orchestra“zog es immer wieder nach Oberbayern. Wobei es kaum einen Jazz-Star der USA geben wird, der noch nicht mit ihnen gespielt hat: Jeff Hamilton und den Brüdern John Clayton und Jeff Clayton. Daneben waren Max Greger und das „Hugo Strasser Quintett“auf der Ingolstädt­er Bühne. Die „Dutch Swing College Band“als wohl älteste Jazzband der

Welt. Paul Kuhn, das „Vienna Art Orchestra“. Nina Michelle. Jeremy Pelt. Luciana Souza. Insgesamt, sagt Manfred Rehm, habe es viele außergewöh­nlich schöne Momente im Audi Forum gegeben. Als gute Ergänzung auch zu dem, was sich im Neuburger Birdland abgespielt habe. Wie dort so verdichtet­en sich natürlich auch bei Audi Anekdoten und Geschichte­n zu einem wertvollen

Tresor der hiesigen Jazz-Geschichte. Eine davon erzählt von Ron Carter, dem am häufigsten aufgenomme­nen Kontrabass­isten überhaupt. Der fast 84-Jährige sei ein Verehrer der Marke Audi, sagt Manfred Rehm. Wenn er also nach Ingolstadt kam, habe er sich auch textil mit Fanartikel­n eingekleid­et. Ein Anorak, ein Pullover, eine Weste vielleicht.

Nur zwei der Auftritte in all den

Jahren des Audi Forums mussten kurzfristi­g ausfallen, eines gleich am Anfang der Chronik. Es war das zweite Konzert mit Freddie Hubbard und „The Young Composers Orchestra“, das für den 13. September 2001 angesetzt war. Noch am Dienstag zuvor wollte Manfred Rehm mit dem Jazz-Trompeter wegen der Abholzeite­n am Münchener Flughafen telefonier­en. Allerdings kam keine Verbindung zustande. „Ich dachte, mein Telefon sei defekt und ging verärgert auf den Karlsplatz, mit der Absicht, später nochmals einen Versuch zu starten.“Dort habe er zufällig einen Freund, Bernhard Gmehling, getroffen, der zu diesem Zeitpunkt bereits wusste: Es war der 11. September, der Tag, an dem 19 Attentäter Passagierf­lugzeuge in den USA entführt und sie in die Zwillingst­ürme des World Trade Centers in New York manövriert hatten. Das Konzert wurde ein Jahr später, am 19. September 2002, nachgeholt.

Bei den vielen Auftritten im Audi Forum ist es dem Jazzclub-Betreiber auch zwei Jahrzehnte später wichtig, die Facetten des Jazz’ abzubilden: das Zeitlose, Mühevolle, Verspielte. Den Nischenber­eich genauso wie das Publikumst­rächtige. Das internatio­nale Spektrum, aber auch den Jazz aus Europa, der Schweiz, Österreich und Deutschlan­d. Eine Mischung, die auch wichtig für die Zuhörer des Forums ist, zum größeren Teil Betriebsan­gehörige. Denn das sollte Jazz bei Audi auch sein: „Eine Andockstel­le für Leute, die bisher keinen Kontakt hatten mit dieser Musik.“Gleichzeit­ig kommen Interessie­rte aus der ganzen Region 10 und anderen Ballungsrä­umen nach Ingolstadt. „Die Allianz mit Audi hat unser Publikum erweitert“, sagt Manfred Rehm. Die Kunst traf die Industrie, das Projekt reüssierte. Der Jazzclub-Betreiber aber bleibt bescheiden. „Wenn man anfängt, hat man wenigstens die Hoffnung, dass es Erfolg hat.

OAudi Forum Nach aktuellem Planungs‰ stand sollen die Jazz‰Konzerte im Audi Forum in Ingolstadt nach pandemiebe­ding‰ ter Schließung ab September 2021 wie‰ der aufgenomme­n werden.

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Fotos: Birdland Archiv Jazzmusik eingebette­t in Industries­zenerie beim Audi Werkkonzer­t in Ingolstadt: das Nieberle‰Holstein Quintet inmitten von zwei Fahrzeugen und Betriebsan­gehörigen.
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Hier fanden in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n mehr als 650 Konzerte großer und kleinerer Formatione­n statt: Audi Forum in Ingolstadt.
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Kleine Formatione­n spielen in der Audi After Work Jazz Lounge.

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