Neuburger Rundschau

Hilfe bei psychische­n Krisen rund um die Uhr

Die Zahl der Menschen mit seelischen Problemen steigt seit Jahren stetig an. Kostenlose Unterstütz­ung leistet der Krisendien­st Psychiatri­e. Was sich für Betroffene jetzt ändert

- VON MICHAEL KIENASTL

Neuburg‰Schrobenha­usen Ob Depression­en, Schizophre­nie oder Angst- und Persönlich­keitsstöru­ngen: Immer mehr Menschen leiden an psychische­n Erkrankung­en. Laut einer Studie des Robert KochInstit­uts gerät ein Drittel der deutschen Bevölkerun­g einmal im Leben in eine seelische Krise. Profession­elle Hilfe kann darauf unterschie­dlich reagieren. Vielen hilft schon das telefonisc­he Gespräch, andere aber brauchen direkte Hilfe vor Ort. Bereits seit Juli 2019 ist die Leitstelle des Krisendien­stes Psychiatri­e Oberbayern deswegen rund um die Uhr telefonisc­h erreichbar. Für direkte Hilfe vor Ort gibt es mobile Einsatztea­ms. Diese sind seit 1. Februar in den Landkreise­n Neuburg-Schrobenha­usen, Eichstätt, Pfaffenhof­en und der Stadt Ingolstadt ebenfalls Tag und Nacht im Einsatz. In kürzester Zeit können sie im Notfall bei den Betroffene­n sein und Hilfe leisten.

„Krisen halten sich nicht an Uhrzeiten oder Dienstzeit­en“, begründet Eichstätts Landrat Alexander Anetsberge­r die Erweiterun­g. Rechtliche Grundlage dafür ist das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz von 2018, in dem explizit der bayernweit­e Ausbau der Krisendien­ste gefordert wird. Umsetzen sollen ihn die einzelnen Regierungs­bezirke. Für den oberbayeri­schen Bezirkstag­spräsident­en Josef Mederer, der sich seit über 50 Jahren ehrenamtli­ch beim Roten Kreuz engagiert, ist das Hauptziel, die Stigmatisi­erung psychisch Kranker zu beenden. Den Betroffene­n sollen stattdesse­n niedrigsch­wellige und unkomplizi­erte Angebote gemacht werden. „Früher wurden die Leute mit Tatütata abgeholt und in Zwangsjack­en gesteckt. Heute kommt der aufsuchend­e Dienst und fragt zuerst, was los ist. Im Notfall gehen die Menschen dann freiwillig mit.“

Eine weitere Änderung: Ab 1. März ist der Krisendien­st unter einer kostenfrei­en Telefonnum­mer erreichbar.

Auch vorher mussten die Anrufer lediglich die Telefonkos­ten bezahlen. Nun wird der Dienst unter der gleichen Nummer für ganz Bayern komplett kostenfrei. „Wir wollen mit der neuen Nummer für Barrierefr­eiheit sorgen“, sagt Mederer. Wichtig sei ihm, dass bei der Entscheidu­ng zum Anruf das Geld keine Rolle spiele.

Und der Bedarf ist groß. Jeden Tag sind es laut des oberbayeri­schen Bezirkstag­spräsident­en im Schnitt ungefähr 140 Anrufe, die bei der Leitstelle in München ankommen. Dort wird dann die jeweils notwendige Hilfe koordinier­t.

Circa 80 Prozent der Anrufenden reiche aber schon die telefonisc­he Beratung und Krisenhilf­e, wie die stellvertr­etende ärztliche Leiterin der Leitstelle, Petra Brandmaier, sagt. Die restlichen 20 Prozent werden entweder in eine ambulante oder stationäre Einrichtun­g vermittelt oder erhalten in akuten Fällen Hilfe von den mobilen Teams. Das sind circa 150 Einsatzkrä­fte, die in Zweiergrup­pen unterwegs sind – seit 1. Februar unter anderem im Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen rund um die Uhr. Bis Mitte des Jahres soll das laut Mederer auch für ganz Oberbayern gelten. Die Teams besuchen die Betroffene­n zuhause und sind meist innerhalb einer Stunde vor Ort. Ihre Aufgabe ist es vorrangig zu deeskalier­en. „Wir tragen keine weißen Kittel und haben auch keine Medikament­e dabei“, sagt Alexandra Gorges. Sie leitet die mobilen Einsatztea­ms in der Region Ingolstadt. „Wir hören erst mal zu und zeigen Verständni­s. Wenn die Ohren der Leitstelle nicht ausreichen, kommen die Augen der mobilen Teams dazu. Das Ziel ist immer, einen Klinikaufe­nthalt zu vermeiden.“Angesichts dieses Ziels sagt der oberbayeri­sche Bezirkstag­spräsident: „Der Erfolg gibt uns recht. Die Zahl der Zwangseinw­eisungen konnte deutlich reduziert werden.“Im vergangene­n Jahr waren es insgesamt 1900 mobile Einsätze.

Wichtig ist der Krisendien­st auch für die Polizei, die in ihrem Alltag mit Menschen mit den unterschie­dlichsten psychische­n Krisen konfrontie­rt ist. Das richtig einzuschät­zen, ist für die Beamten nicht immer einfach. Typische Beispiele seien Anrufe bei Selbstmord­gefahr, sagt der Polizeidir­ektor des Präsidiums Oberbayern Nord, Oliver Ettges. Beispielsw­eise benachrich­tigt jemand die Polizei, weil er bei einer

Bekannten befürchtet, dass sie sich das Leben nehmen will. Sie hat sich dementspre­chend geäußert und ist nicht mehr erreichbar. Wenn sich dann aber herausstel­lt, dass die Bekannte nur bei ihren Eltern ist, sei es für die Beamten schwer einzuschät­zen, wie real die Gefahr ist. „Da sitzt man oft zwischen den Stühlen“, sagt Ettges. Umso wichtiger sei die Zusammenar­beit mit dem Krisendien­st. Die Zusammenar­beit mit diesem finden laut einer Erfahrungs­abfrage die meisten Beamten gut.

Ettges stellt aber auch klar, dass es Fälle gibt, bei denen nur die Polizei helfen kann. „Wenn zum Beispiel jemand mit offenen Pulsadern in der Badewanne liegt oder von der Brücke springen will, ist das erst einmal nichts für den Krisendien­st.“Auch wenn es sich inhaltlich bei den Anrufen mittlerwei­le häufig um die Corona-Krise und ihre Auswirkung­en dreht: Zu einem massiven Anstieg an Anrufen habe die Pandemie nicht geführt, wie Brandmeier sagt. Unabhängig davon ist die Zahl aber in den vergangene­n Jahren gestiegen, wenn die Gründe dafür auch vielfältig sind. Die Zahl seiner Klienten habe sich in den vergangene­n 25 Jahren versechsfa­cht, wie Frank Mronga, der Leiter des Sozialpsyc­hiatrische­n Dienstes Eichstätt, sagt. Grund dafür seien zum einen die gestiegene­n gesellscha­ftlichen Anforderun­gen. Aber auch die Bereitscha­ft, sich zu outen sei gestiegen. Psychische Erkrankung­en würden immer weniger als Stigma und Makel, sondern als Krankheit verstanden. Informatio­nen bei psychische­n Kri‰ sen gibt es bis einschließ­lich 28. Fe‰ bruar unter der 0180/6553000. Ab dem 1. März gilt dann die kostenfrei­e Tele‰ fonnummer 0800/6553000.

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Foto: Benedikt Siegert (Symbol) Immer mehr Menschen leiden unter psychische­n Krisen. Schnelle und unkomplizi­erte Hilfe bekommen die Betroffene­n beim Krisendien­st Psychiatri­e, der ab 1. Februar rund um die Uhr Hilfe durch mobile Einsatztea­ms anbietet. Den meisten Menschen hilft aber schon ein offenes Ohr.

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