Verschwörungstheorien sollen vom Versagen ablenken
Kein Land im Nahen Osten ist derart hart vom Coronavirus betroffen wie der Iran. Jetzt fordert Teheran von den USA das Ende der Sanktionen. Besteht jetzt die Chance für vertrauensbildende Maßnahmen?
Istanbul Im Iran stirbt alle zehn Minuten ein Mensch an den Folgen des Coronavirus – kein anderes Land im Nahen Osten leidet so schwer unter der Pandemie wie die Islamische Republik. Deshalb wird der Ruf nach einer vorübergehenden Aufhebung der amerikanischen Wirtschaftssanktionen gegen das Land lauter. Auch die Führung in Teheran fordert ein Ende der Zwangsmaßnahmen und lehnt alle anderen US-Hilfsangebote ab. Bisher lässt Washington jedoch keine Kompromissbereitschaft erkennen.
Die iranische Führung benutzt den Verweis auf die US-Sanktionen, um sich gegen den Vorwurf des Versagens bei der Bekämpfung des Virus zu verteidigen. Einfuhrbeschränkungen seien der Grund dafür, dass viele medizinische Hilfsmittel fehlten, sagt Teheran. Hilfe aus den USA anzunehmen komme nicht in Frage, betonte Revolutionsführer Ali Khamenei am Wochenende. Der 80-Jährige verbreitete in einer Fernsehrede eine Verschwörungstheorie, nach der die USA das Virus produziert haben, und zwar „mit genetischen Daten der Iraner“, um auf dieser Weise dem Iran zu schaden. Kritiker halten der iranischen Regierung vor, die Gefahr lange verkannt und dann vertuscht und verharmlost zu haben. Trotz mehr als 1800 Todesopfern und rund 23 000 Infizierten gibt es keine strengen Ausgangssperren wie in anderen Ländern.
US-Präsident Donald Trump hat dem Iran grundsätzlich Hilfe der USA angeboten, doch Teheran winkt ab. Wenn Amerika wirklich helfen wolle, dann solle es die Sanktionen aufheben, sagte Staatspräsident Hassan Rohani am Montag im Fernsehen. Wegen der US-Sanktionen kann der Iran nur noch wenig Öl exportieren, um Devisen zu verdienen. Die relativ kleine Menge Öl, die trotz des Drucks aus Washington noch verkauft werden kann, bringt dem Iran wegen des derzeitigen Absturzes des Ölpreises weniger Geld ein als in normalen Zeiten.
Eine rasche Verständigung zwischen Teheran und Washington ist dennoch unwahrscheinlich, denn die Spannungen zwischen beiden Ländern eskalieren wieder. Vorige Woche griffen die USA proiranische Milizen im Irak an, die für einen Raketenangriff auf einen US-Militärstützpunkt verantwortlich gemacht wurden. Bei den Raketeneinschlägen waren zwei amerikanische Soldaten und eine britische Soldatin ums Leben gekommen.
Iran-Hardliner in den USA lehnen deshalb jede Entspannung ab. Wenn proiranische Milizen westliche Soldaten töteten, sei ein Nachlassen des wirtschaftlichen Drucks genau das falsche Signal, sagte Mark Dubowitz, Chef der US-Denkfabrik FDD, der New York Times.
Allerdings könnte für die USA zumindest eine Unterbrechung von Trumps „maximalem Druck“auf den Iran ratsam ein. Wenn Washington etwa beim Internationalen Währungsfonds die Bereitstellung eines vom Iran beantragten Notkredits in Höhe von fünf Milliarden Dollar blockieren sollte, dann könnten sich die USA „nur schwer gegen den Eindruck wehren, unmenschlich zu handeln“, schrieben die IranExperten Robert Malley und Ali Vaez im Magazin Foreign Policy. Außerdem könnte eine weitere Ausbreitung des Virus in der Weltgegend die amerikanischen Verbündeten am Golf wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bedrohen.
Mehr als zwei Dutzend amerikanische und internationale Verbände und Denkfabriken appellierten in einem offenen Brief an die TrumpRegierung, die Sanktionen auszusetzen. Malley und Vaez sehen sogar die Möglichkeit, die CoronavirusKrise für den Beginn vertrauensbildender Maßnahmen zu nutzen. Als Beispiele nannten sie einen Gefangenenaustausch und einen Verzicht des Iran auf einen weiteren Ausbau seines Atomprogramms.
Bisher ignoriert Washington die Kompromissvorschläge. Außenminister Michael Pompeo, ein führender Iran-Hardliner in Trumps Kabinett, betonte kürzlich, die Sanktionen müssten nicht ausgesetzt werden, weil medizinische Güter davon nicht berührt seien – eine Position, die von vielen Experten bestritten wird: Die Beschränkungen für den Handel und für Finanztransaktionen mit dem Iran wirken sich demnach sehr wohl auf den Gesundheitssektor aus. Die US-Regierung sieht dennoch keinen Grund für einen Kurswechsel. Erst vor wenigen Tagen ließ Trump die Sanktionen gegen Teheran erneut verschärfen.
Der Absturz des Ölpreises trifft das Land hart