Stressiger Shutdown
Viele Menschen finden auf einmal neue Hobbys und Aufgaben. Unsere Autorin würde das zwar auch gern – hat aber dafür gar keine Zeit
Wenn man sich anderen Personen nicht nähern darf und ein Besuch schon gar nicht infrage kommt, muss man sich aus vielen Indizien zusammenreimen, wie die Mitmenschen in der Corona-Krise wohl ihre Zeit verbringen. Die Schulfreundin erzählt in einer Sprachnachricht, sie würde nun viel backen: Brot, Kuchen, und was es da sonst noch gibt. Die Kollegin veröffentlicht im Internet Bilder ihrer blank geputzten Wohnung, mehrere Freunde spielen nun abendfüllend Brettspiele.
Ich freue mich, dass die Menschen plötzlich so viel Zeit haben, so viele neue Hobbys finden – ich beneide sie sogar darum. Denn ich habe seit Beginn des Corona-Shutdowns nicht ein einziges Buch ausgelesen, keine neue Sprache gelernt und der dringend notwendige Frühjahrsputz rückt auf meiner Liste der
Dinge, die ich zu tun habe, von Tag zu Tag weiter nach unten.
Vergangene Woche konnte ich das noch auf meinen Tagesablauf schieben, der so anders als in normalen Zeiten gar nicht ist: Gemeinsam mit einigen wenigen Kollegen arbeite ich weiter in der Redaktion. Mittags sitzen wir mit großem Abstand in der Kantine, die zwar zu zwei Dritteln abgesperrt ist, aber den Betrieb aufrecht erhält. Abends gehe ich einkaufen, danach noch spazieren. Die Abende sind ruhiger als sonst, aber ich kann mir noch einbilden, dass das Leben normal weitergeht.
Der wahre
Grund ist aber ein anderer: Auch wenn das ganze Land stillgelegt ist, ist die Zeit, in der nichts zu tun ist, knapp bemessen. Die Straßen sind leer, die Bars und Restaurants zu – weniger los ist deswegen aber nicht, vor allem nicht am Wochenende. Ich habe das Gefühl, weil alle Abstand halten müssen, will man sich zumindest digital so nah wie möglich sein.
Ich habe lange nicht mehr so viel telefoniert wie in den vergangenen Tagen. Einen Spaziergang am Sonntag musste ich abbrechen, weil mein Handyakku die ständige Beanspruchung nicht mehr mitmachte.
Später stand eine Video-Konferenz mit Freunden an, zu der ich zu spät kam, weil ich noch meine Familie am Telefon hatte.
Nach eineinhalb Stunden musste ich mich auch aus dem Video-Gespräch wieder verabschieden: Meine Schwester hatte zu einem Livestream auf Instagram eingeladen. Auch in der nächsten Woche stehen schon einige Dinge an: Eine Freundin bietet Online-Yoga an. Dazu kommen Klavierkonzerte im Internet, Lesungen und Bands, die ihre Auftritte ins Netz verlegen. Wirklich stressig finde ich das natürlich nicht. Ich muss mich nur langsam mit dem Gedanken anfreunden, dass ich den Frühjahrsputz wohl auf unbestimmte Zeit verschieben werde.
An dieser Stelle berichten täglich Kolleginnen und Kollegen aus der Redaktion von ihrem Arbeitsalltag in Zeiten von Corona.