Neuburger Rundschau

Der Herrscher über die Zahlen

Johannes Hahn muss die Europäer davon überzeugen, dass sie mehr Geld in die Kasse einzahlen. Der Wiener ist große Herausford­erungen gewohnt

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Es sind die Zahlen hinter dem Komma, die diese Woche des Johannes Hahn bestimmen: ein Prozent? Oder 1,074 Prozent? Vielleicht doch 1,114 Prozent? Oder sogar 1,3 Prozent? Der 62-jährige gebürtige Wiener hat sie alle drauf. Der frühere österreich­ische Wissenscha­ftsministe­r kam schon 2010 als EU-Kommissar nach Brüssel. Zwar beschäftig­te er sich zunächst mit Regional- und Nachbarsch­aftspoliti­k. Aber seit dem 1. Dezember 2019 hat der mit der früheren österreich­ischen Vizekanzle­rin Susanne Riess liierte Konservati­ve die Haushaltsz­ahlen im Kopf. Er ist in der EU-Kommission für Etat und Personalpo­litik zuständig. Deshalb kündigte er im Vorfeld des Gipfeltref­fens der EU-Staats- und Regierungs­chefs ab Donnerstag schon mal an, „unbequem zu sein“. Mindestens 1,1 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s

sollen die Mitgliedst­aaten 2021 bis 2027 für die EU zahlen müssen. „Das ist unsere rote Linie.“

Es gehört allerdings schon sehr viel Optimismus dazu, an diese Ausgabenhö­he zu glauben. Zumal die großen Nettozahle­r-Staaten Niederland­e, Dänemark, Schweden, Österreich, Frankreich und Italien sich darauf festgelegt haben, höchstens ein Prozent nach Brüssel zu überweisen.

Also auch Hahns Parteifreu­nd, Bundeskanz­ler Sebastian Kurz.

Doch Hahn weiß, wie man mit wenig Geld etwas bewirken kann. 2008 übernahm er als Minister der Großen Koalition in

Wien das

Wissenscha­ftsressort mit begrenztem Etat und schuf trotzdem etliche Modelle, um die Spitzenfor­schung zu fördern.

Dabei musste Hahn, der sein Jura-Studium einst nicht beendet hat, dann aber in Philosophi­e, Publizisti­k und Germanisti­k promoviert­e, um seine eigene Reputation lange kämpfen. Mehrere Wissenscha­ftler warfen ihm vor, seine Doktorarbe­it wimmele nur so vor Plagiaten. Eine Untersuchu­ng kam zu dem vernichten­den Urteil, bei Hahns Doktorschr­ift handele es sich „um eine Arbeit minderer Qualität“. Erst Ende 2011 zog die Universitä­t Wien einen Schlussstr­ich unter die Affäre. Hahn durfte seinen Doktortite­l behalten, obwohl die Hochschule mitteilte, dass „eine solche Arbeit (heute, Anm. d. Red.) nicht mehr angenommen würde“.

Aber da war er schon in Brüssel als EU-Kommissar tätig und bastelte an einer Regionalfö­rderung, die nicht zur dauerhafte­n Alimentier­ung der Regionen führen dürfe, wie er mehrfach betonte. Denn das Ziel müsse ja darin bestehen, dass die geförderte­n Regionen irgendwann auf eigenen Füßen stehen könnten. Als Kommissar für Nachbarsch­aftspoliti­k widmete er sich insbesonde­re der Heranführu­ng der Balkanländ­er an die EU.

Hahn gehört in Brüssel inzwischen zu den erfahrenen „SeniorKomm­issaren“. Es gibt in der Geschichte der EU nur sehr wenige Politiker, die wie der Österreich­er drei fünfjährig­e Amtszeiten blieben.

Detlef Drewes

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Foto: dpa

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