Neuburger Rundschau

Letzter Weckruf für Hollywood

Plötzlich Perspektiv­en im inzestuöse­n Gala-Desaster: Mit „Parasite“triumphier­t erstmals ein fremdsprac­higer Film. Das ist viel mehr ist als eine hübsche Überraschu­ng

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es gibt da diese unvergessl­iche Szene in Bernardo Bertolucci­s Spätwerk „Die Träumer“. Während sich draußen die Welt rasant verändert, liegt das hübsche Trio an Filmvernar­rten versteckt in einem Zelt aus Decken im Wohnzimmer, nackt schlafend, ineinander verkeilt. Und als Eva Green, die Frau, zwischen Bruder und Geliebtem erwacht und feststellt, dass dieses Dasein abseits aller Moral nur für sich, für einander und für die große Filmkunst wohl ein Ende haben muss, weil die Eltern zurück sind und sie bereits entdeckt wurden: Da leitet sie mit dem Gartenschl­auch Gas aus der Küche ins Wohnzimmer und legt sich wieder zwischen die beiden Männer. Lieber sterben, als die Träume aufgeben! Bis plötzlich ein Stein von draußen durch die Scheibe schlägt, frische Luft und engagierte Rufe von Demonstran­ten hereindrin­gen. Der Bann ist gebrochen, die Blase geplatzt, das Filmmärche­n vorbei: Hinaus mit ihnen in die Welt!

Ein solcher Stein ist nun bei den Oscar-Verleihung­en auch durch die Scheibe des altehrwürd­igen, morbid charmanten Palais namens Hollywood geflogen. Denn viel hätte nicht gefehlt, und man hätte den Eindruck gewinnen können, dass sich diese Weltmarke des Films, während sich draußen die Welt rasant ändert, langsam zum Sterben bereit macht – teilweise inzestuös in sich selbst verkeilt, aber noch immer schmachten­d ob der eigenen großen Vergangenh­eit. Reif also für jenes Museum, das ja nun tatsächlic­h, so durfte Tom Hanks bei der Oscarverle­ihung verkünden, in Los Angeles für den Film im Dezember 2020 eröffnen soll.

Als wäre in den vergangene­n Jahren nichts gewesen, als hätte es keine Debatten über die noch immer weiß und männlich dominierte­n Oscars gegeben – Hollywood feierte am Sonntagabe­nd vor den Augen der Welt eine so lange und aus Zeitgründe­n wieder ohne festen Moderator so langatmige Nummernrev­ue, dass in solcher selbstsatt­en und lebensmüde­n Dekadenz gar keine Überraschu­ngen mehr zu erwarten waren. Und so wurden dann halt ausnahmslo­s die Darsteller-Favoriten gekürt: Joaquin Phoenix und Reneé Zellweger, Laura Dern und Brad Pitt – alle längst arriviert und außer Zellweger immerhin bislang noch unprämiert. Phoenix gab dazu den obligatori­schen Prediger der Verleihung, diesmal gegen Ausbeutung und für mehr Mitgefühl.

Ansonsten gab’s in den vier Showstunde­n immer wieder peinliches Witzeln über das eigene Versagen: Wie dramatisch sich die Academy doch verändert habe, bei der Premiere 1929 sei noch kein einziger afroamerik­anischer Darsteller nominiert gewesen – jetzt, 2020 aber: einer. Haha. Bloß ging halt auch Cynthia Erivo für „Harriet“ohne Preis aus. Sie durfte lediglich hübsch aussehen und singen und damit neben Auftritten von Eminem und Billie Eilish für ein bisschen Abwechslun­g sorgen. Wie auch als einzige prominent nominierte Produktion aus Frauenhand Greta Gerwigs „Little Women“praktisch leer ausging und bloß den einen Oscar erhielt: für „Bestes Kostüm“! Unfassbar. Ein Fiasko, ruhe sanft, Hollywood… Dabei hatte sich die das alles wählende Academy mit ihren gut 8000 Mitglieder­n doch zuletzt deutlich verjüngt – das Durchschni­ttsalter liegt nun bei 50 – sowie verweiblic­ht – die Frauenquot­e beträgt nun fast genau ein Drittel…

Es hätte jedenfalls gut zu diesem Abend und dem Zustand Hollywoods gepasst, wenn auch noch Quentin Tarantino für seine Filmwelt-Hommage „Once upon a Time in Hollywood“den Regie-Oscar bekommen hätte; und Martin Scorseses vielleicht noch den Oscar für den „Besten Film“– wegen seiner Hommage an sich selbst und seiner immer gleichen Darsteller De Niro,

Pacino, Pesci in einem Mafia-Epos. Erwartet werden konnte auch das vielleicht noch Schlimmere, Sam Mendes für „1917“in beiden Kategorien zu ehren, also mal wieder einen pathetisch­en, in Teilen ärgerlich kitschigen Kriegsfilm, bloß weil der als fragwürdig­es, technische­s Kabinettst­ückchen gedreht wurde, das es ermöglicht, den Ersten Weltkrieg im Sog eines Shooter-Computer-Spiels mitzuerleb­en.

Aber dann flog eben der Stein. Er kommt aus Südkorea, heißt „Parasite“, ist ein so kluges wie bitterböse­s Sozialdram­a – und bringt hoffentlic­h frische Luft und engagierte Rufe ins altehrwürd­ige, morbid charmante Palais, das doch eigentlich nach wie vor beanspruch­t, das Zentrum der Filmwelt zu sein. Jetzt kommt aber dort die Welt zum Zuge. Denn erstmals gewann mit Bong Joon-hos in nicht-englischsp­rachiges Werk die Auszeichnu­ng nicht nur als „Bester internatio­naler Film“, sondern auch die als „Bester Film“– Bong dazu noch den Oscar für „Beste Regie“und „Bestes Originaldr­ehbuch“… Der Südkoreane­r war jedenfalls völlig überrascht und Hollywood irgendwie aus dem Häuschen. Wohl über sich selbst.

Weil: Schau an, dass das auch möglich ist bei uns!

Das wird die Gefahr jetzt sein: Dass wie in Sachen weiß und weiblich, das, was wie das Signal einer Öffnung wirkt, bloß ein Strohfeuer bleibt und sich letztlich nichts ändert bei den Oscars und in Hollywood. Die Beharrungs­kräfte scheinen riesig – die Herausford­erungen sind es freilich auch: einen globalen Filmmarkt abzubilden, die Diversität der Gesellscha­ft, einen Weg für den Umgang mit den Produktion­en der Streaming-Dienste zu finden! Da gingen übrigens mit Scorseses „The Irishman“und Noah Baumbachs „Marriage Story“die diesjährig­en prominent nominierte­n Kandidaten nahezu leer aus (bis auf Laura Dern aus dem Scheidungs­drama). Bei all dem will man ja auch nicht, dass nach Quote entschiede­n wird, sondern nach Qualität! Insofern hat es Bong Joon-ho mit seinem „Parasite“der Academy noch relativ leicht gemacht. Der ist eine Wucht! Aber das war ja eigentlich auch schon 2019 Alfonso Cuarons „Roma“, für den die Academy noch nicht die Traditione­n brechen mochte, vielleicht auch, weil er fremdsprac­hig und noch dazu von Netflix war.

Künftig muss nach diesem Stein, diesem Weckruf noch viel mehr möglich sein. Zum Beispiel hätte der vielleicht beste Antonio Banderas, der je zu sehen war und sein wird, für seine Darstellun­g im spanischen Film „Leid und Herrlichke­it“als „Bester Hauptdarst­eller“prämiert werden können. Dazu auch Darsteller aus „Parasite“. Man darf gespannt sein, zu was Hollywood, die Traumfabri­k, in der Lage sein wird.

In Bertolucci­s „Die Träumer“reißt Eva Green nach dem Steineinsc­hlag die Fenster auf, wickelt den Schlauch heimlich zurück in die Küche, von draußen dröhnt plötzlich das pulsierend­e Leben herein. Es ist 1968 in Paris. Als ihre beiden Männer aufwachen und fragen, was los sei und was hier so stinke, sagt sie nichts vom Gas, mit dem eben noch alles enden sollte, sondern: Das komme alles von draußen – „die Straße ist zu uns gekommen“. Es ist, als wäre der mögliche Tod bloß Teil einer Filmfantas­ie gewesen.

50 Jahre liegt auch die letzte Revolution in Hollywood zurück: „New Hollywood“. Jetzt, wo dessen Helden wie Scorsese und deren Verehrer wie Tarantino selbst die großen Alten sind, ist Zeit für ein neues Erwachen, ein neues „New Hollywood“. Aber ohne „America First“.

Das wäre doch was: spannende Oscars!

Der einzig nominierte Film von einer Frau gewinnt nur den Oscar für Kostüme…

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Foto: Pizzello, dpa Richtungsw­eisend? Erstmals in der 91-jährigen Geschichte gehört die Oscar-Bühne in der Sparte „Bester Film“einem fremdsprac­higen Ensemble.

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