Neuburger Rundschau

Wie die Ermittler jetzt die Giftattack­e in Ulm rekonstrui­eren

In der Anonymität des Internets tauschen Pädophile abertausen­de Kinderporn­os aus. Es gibt aber auch reale Treffen, bei denen Eltern ihre eigenen Kinder zum Missbrauch anbieten. Wie eine bayerische Spezialein­heit dagegen kämpft

- VON STEPHANIE SARTOR

Bamberg Das Mädchen mit den langen dunkelblon­den Haaren hält einen Plüsch-Pandabären im Arm. Die Kleine drückt das schwarzwei­ße Stofftier fest an sich, blickt mit großen traurigen Augen in das kahle Zimmer der Waldhütte, in dem sie gefangen gehalten wird. Das Mädchen ist in die Fänge eines Kinderschä­nder-Rings geraten. Es soll im Internet versteiger­t und sexuell missbrauch­t werden.

Diese Geschichte ist nicht real. Sondern erfunden. Von den Drehbuchau­toren des „Tatort“, den am vergangene­n Sonntag mehr als acht Millionen Menschen im Fernsehen sahen. „Monster“lautet der Titel der Episode, die viele Zuschauer entsetzt zurückgela­ssen hat. Vor allem, weil man ja weiß: Derlei Grausamkei­ten sind längst nicht nur fiktional. Kriminelle, die Kinder vergewalti­gen und die Videos davon ins Internet stellen, sind traurige Realität. Es gibt sie überall.

Einer, der Jagd auf diese Verbrecher macht, ist Christian Schorr von der Generalsta­atsanwalts­chaft Bamberg. Der stellvertr­etende Pressespre­cher der Zentralste­lle Cybercrime Bayern leitet dort eine Arbeitsgru­ppe, die sich mit dem

Manche Portale haben zehntausen­de Nutzer

Missbrauch von Kindern und der Verbreitun­g von Kinderporn­ografie im Internet befasst. Im vergangene­n Jahr behandelte die Arbeitsgru­ppe 636 sogenannte „kinderporn­ografische Vorgänge“, also Fälle, in denen Videos und Bilder von missbrauch­ten Kindern im Internet verbreitet wurden. Hinzu kamen noch etwa 40 Fälle, bei denen auch der Verdacht eines tatsächlic­hen sexuellen Missbrauch­s im Raum stand. Schorr hat in seiner Arbeit viel gesehen. Er sagt: „Da gibt es schon menschlich­e Abgründe. Man kann nichts ausschließ­en, selbst wenn man sich im Vorfeld niemals hätte vorstellen können, dass es so etwas gibt.“

Die Plattforme­n, auf denen die Dateien ausgetausc­ht werden, sind riesig. Bei einigen Portalen sind zehntausen­de Nutzer angemeldet, bei „Elysium“etwa waren es mehr als 90000 Menschen. In der griechisch­en Mythologie ist „Elysium“die „Insel der Seligen“– für viele aber bedeutete die Seite, die 2017 abgeschalt­et wurde, die Hölle.

Das Netzwerk war im Darknet angesiedel­t, einem geheimen Teil des Internets, quasi ein virtueller Untergrund. Die Mitglieder tauschten nicht nur in dieser Online-Anonymität Fotos und Videos aus, sondern verabredet­en sich auch zu realen Treffen – manche Eltern boten dabei ihre eigenen Kinder zum Missbrauch an. Die Taten wurden gefilmt und ins Portal hochgelade­n. Vier Männer waren für „Elysium“verantwort­lich, darunter auch ein damals 62 Jahre alter Mann aus Landsberg am Lech, der zwei Kinder im Alter von vier und sechs Jahre sexuell missbrauch­t hatte. Alle Strippenzi­eher des Netzwerks wurden zu langen Haftstrafe­n verurteilt.

Bislang war es für Polizei und Staatsanwa­ltschaft extrem schwierig, solche Plattforme­n ausfindig zu machen und die Täter zu erwischen. Denn die Sache funktionie­rt so: Nur wer selbst kinderporn­ografische Bilder hochlädt, bekommt auch Zugang. Die Ermittler durften das bisher allerdings von Gesetzes wegen nicht – Mitte Januar wurde dieses Verbot nun aber aufgehoben. Mit computerge­nerierten Fotos können sich die Ermittler bald Zugang zu Pädophilen-Netzwerken verschaffe­n.

Oberstaats­anwalt Schorr aus Bamberg wertet das als positiven Schritt: „In die Bereiche, die für uns interessan­t sind, konnten wir bisher nicht vordringen. Wir gehen davon aus, dass unsere Arbeit durch die Gesetzesän­derung erleichter­t wird.“In diese gesicherte­n Bereiche zu gelangen, sei deshalb so wichtig, weil man dort auf die Produzente­n der Filme und Bilder treffe, also auch auf diejenigen, die die Kinder vergewalti­gen. „Und genau an die wollen wir ran“, sagt Schorr. Der Ermittler hofft außerdem, dass die neue Regelung abschrecke­nd wirkt. „Die User haben das mitbekomme­n und dadurch wird möglicherw­eise eine Verunsiche­rung bei ihnen erKinder reicht.“Die Menschen, die sich in solchen Darknet-Portalen tummeln, stammten aus allen Altersklas­sen und allen sozialen Schichten, sagt Schorr. Eines aber eine sie: Fast alle sind Männer.

Wie die Täter an die Kinder oder an Videos gelangen, ist unterschie­dlich. Viele geben sich selbst als Jugendlich­e aus und überreden Minderjähr­ige dazu, Nacktfotos von sich zu schicken, manche missbrauch­en ihre eigenen Söhne oder Töchter, andere bezahlen für eine LiveÜbertr­agung einer Vergewalti­gung und wieder andere vergehen sich an Kindern, auf die sie leicht zugreifen können. Wie etwa ein Logopäde aus Würzburg. Der Fall sorgte im vergangene­n Jahr in ganz Deutschlan­d für Schlagzeil­en. Dem Mann wird vorgeworfe­n, kleine Buben in Praxen und Kindertage­sstätten missbrauch­t zu haben. Davon soll er Fotos und Videos im Internet verbreitet haben. In wenigen Wochen beginnt der Prozess.

Als die Ermittler im vergangene­n März zuschlugen, saß der Mann an seinem Rechner. „Das war der perfekte Zeitpunkt“, sagt Schorr, der in den Fall involviert war. „Es ist wichtig, einen Täter aktiv am Computer zu erwischen. Denn oft sind sonst keine Spuren zu finden, wenn sich alles im Darknet abspielt.“Nicht alle Kriminelle­n sind so schlau. Manche tauschen Kinderporn­ografie über ganz normale Chat-Programme aus.

Schorr und seine Kollegen müssen sich diese Dateien anschauen. Tausende Fotos von missbrauch­ten Kindern, die teils noch nicht einmal ein Jahr alt sind. „Wenn man sich den ganzen Tag nur mit Kinderporn­ografie beschäftig­t, kriegt man das nicht mehr aus dem Kopf. Deswegen arbeiten wir auch an Fällen, die mit allgemeine­r Internetkr­iminalität zu tun haben“, sagt Schorr und fügt hinzu: „Man darf die Dinge nicht zu sehr an sich ranlassen. Auch wenn das manchmal schwerfäll­t.“

 ?? Foto: Thomas Kost, WDR ?? Eine Szene aus dem „Tatort“vom vergangene­n Sonntag, den mehr als acht Millionen Zuschauer sahen: Das kleine Mädchen wird in einer Waldhütte gefangen gehalten und soll sexuell missbrauch­t werden.
Foto: Thomas Kost, WDR Eine Szene aus dem „Tatort“vom vergangene­n Sonntag, den mehr als acht Millionen Zuschauer sahen: Das kleine Mädchen wird in einer Waldhütte gefangen gehalten und soll sexuell missbrauch­t werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany