War es wirklich ein Wolfsbiss?
In Bayern hat das Raubtier Schafe und Kälber gerissen. Jetzt soll ein Wolf in Niedersachsen einen Mann angefallen haben. Ein Förster erklärt, weshalb das nicht zum natürlichen Verhalten der scheuen Jäger passt
Steinfeld Ein Mann arbeitet an einem Zaun um den örtlichen Friedhof. Er will hinter sich greifen. Dann der Schreckmoment: Irgendetwas fasst seine Hand. Als er sich umdreht, erkennt er einen Wolf. Mit einem kleinen Abstand dahinter stehen drei weitere Wölfe. Der Mann verscheucht die Tiere, geht sofort danach zum Arzt, um seine verletzte Hand behandeln zu lassen.
All das soll sich am vergangenen Montag im niedersächsischen Ort Steinfeld abgespielt haben. Stimmen die Angaben des Mannes, wäre es der erste Angriff eines Wolfs auf einen Menschen, seit die Raubtiere nach Deutschland zurückgekehrt sind.
Der Wolfsexperte und studierte Förster Ulrich Wotschikowsky zeigt sich skeptisch. „Ich halte die Geschichte für extrem unwahrscheinlich“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Schilderung passe nicht zum Verhalten von Wölfen. Der Experte, der für seine Verdienste um die Wiederansiedelung des Luchses im Freistaat 2018 einen bayerischen Förderpreis erhielt, erklärt weiter: „Junge, naive Tiere gehen in Dörfern mal auf Erkundungstour, aber dann beobachten sie alles aus der Ferne.“Ältere, erfahrene Tiere blieben zum Menschen auf Distanz. Der aufrechte Gang verunsichere sie.
Wotschikowsky hat sich mit Experten aus der Gegend unterhalten, die sich ebenfalls skeptisch zeigen. „Es gibt östlich von Steinfeld mehrere Rudel, die verlassen aber nicht einfach ihr Gebiet“, sagt er.
Seiner Meinung nach steckt ein Hund hinter dem Biss. „Täglich werden Menschen von Hunden gebissen“, sagt der Experte. Allein in Berlin wurden im Jahr 2017 mehr als 580 Menschen von Hunden verletzt oder angesprungen, das geht aus einer Statistik der Hauptstadt hervor. „Ich glaube nicht, dass der Mann uns anlügen möchte“, sagt Wotschikowsky. Er hat eine andere Erklärung. Der Wolfsexperte meint, dass viele Menschen sich schwer tun, bestimmte Hunde wie Huskys oder tschechoslowakische von Wölfen zu unterscheiden.
„Wenn man junge Tiere füttert, kommen sie vielleicht wieder“, sagt der gebürtige Brandenburger. Erst dann werde es kritisch, weil sich das Tier an das Fressen gewöhnen könne. In den vergangenen 18 Jahren habe es aber erst einen Fall gegeben. 2016 wurde der Wolf Kurti in Niedersachsen erschossen, nachdem er einen Hund angegriffen und gegenWolfshunde über Menschen wenig Scheu gezeigt hatte.
Uwe Friedel vom Bund Naturschutz Bayern ergänzt: „Wölfe sind nicht scheu, sondern vorsichtig.“Der Mensch sei für sie deswegen eher uninteressant, weil er keine Nahrung darstellt. Er möchte aber einen Wolfsangriff in Niedersachsen grundsätzlich nicht ausschließen.
Wenn es ein Wolfsangriff war und man das Tier findet, dann plädiert Friedel dafür, den Wolf zu töten. Das Verhalten des Tieres sei auf Dauer gefährlich für andere Menschen. Aber vorerst empfiehlt er, die Sache entspannt zu betrachten. „Man muss abwarten, was die Experten vor Ort herausfinden.“
Ob der Mann von einem Wolf oder doch von einem Hund gebissen wurde, kann am sichersten ein DNA-Test klären. Dazu müssten aber Spuren von dem Tier an der verletzten Hand sein. Nachdem der Betroffene von vier Wölfen gesprochen hatte, erwartet der Naturschützer im Fall eines Nachweises eine relativ einfache Suche: „Die müssten schnell zu finden sein.“