Sport und Kunst vereint
Porträt Der Radfahrerverein Burgheim gehört im Einradfahren traditionell zur Elite. Am Samstag nimmt er mit drei Mannschaften an der deutschen Meisterschaft teil. Ein einziger Fehler kann schon entscheidend sein. Was die Sportart und den Verein zu etwas B
Burgheim Sabine Pfeifer beobachtet mit strengem Blick, zieht ihre Lippen zusammen. „Noch mal“, sagt sie bestimmt und freundlich zugleich, „das müssen wir noch mal machen.“Jedes noch so kleine Detail scheint für sie von großer Bedeutung. Für den staunenden Laien wirkt in diesem Augenblick hingegen alles perfekt. Was die jungen Frauen auf ihren Einrädern vollbringen, kann nur durch jahrelanges, gezieltes Training erarbeitet sein. Die wunderschöne Ästhetik, vereint mit kraftvoller Dynamik und Präzision. Die gleichmäßigen und sauberen Ausführungen der Bewegungen, die allesamt rückwärtsfahrend durchgeführt werden. Die Beweglichkeit, Konzentration, Geschicklichkeit und Körperspannung. Dazu die Synchronität innerhalb der Gruppe.
Doch Sabine Pfeifer unterbricht. Die Sportlerinnen steigen von ihren Einrädern, schauen erstaunt, gehorchen ihrer Trainerin und wiederholen die Übung. Es ist Sonntagvormittag. Die Trainingseinheit ist keine gewöhnliche für die Sportlerinnen des Radfahrervereins Burgheim, sondern eine der letzten vor der anstehenden deutschen Meisterschaft. Die besten Teams des Landes sind beim Saisonhöhepunkt vertreten. Kleinigkeiten werden über Sieg und Niederlage, über Freude und Enttäuschung, entscheiden. Das weiß Sabine Pfeifer, das wissen die Sportlerinnen. „Noch mal hören sie gar nicht gerne“, sagt die Trainerin schmunzelnd, „doch es kommt am häufigsten vor und ist nötig.“Beharrlichkeit sei eine der wichtigsten Eigenschaften, die man für das Einradfahren mitbringen müsse. Laufend gilt es, am Feinschliff einer Kür zu arbeiten, Details zu verbessern. Seit Jahren. Immer wieder. Jede Woche.
Einradfahren kannte man lange nur aus dem Zirkus. Heute ist es eine ernst zu nehmende Sportart. Der Radfahrerverein Burgheim, der 1899 gegründet wurde, gehört zu den Hochburgen. In Bayern. Auch deutschlandweit. Nicht nur in Burgheim, auch in Neuburg, Stepperg und anderen Orten des Landkreises bildeten sich um das Jahr 1900 Radfahrervereine. Doch nur der Burgheimer überlebte und genießt inzwischen in der Region ein Alleinstellungsmerkmal. Bestimmten zunächst einzelne Ausflüge das Vereinsleben, kam später der aktive Sport hinzu. Beim ersten Volksradfahren am 19. Mai 1974 in Burgheim stellte sich Inge Kunz aus Rennertshofen mit ihrem Einrad bei einem Schaufahren vor. Die Vorführung begeisterte. Wenig später wurde die Sparte Einradfahren gegründet und ist heute das Aushängeschild des Vereins. „Unser Radfahrerverein gehört einfach zu Burgheim“, sagt Stefanie Barz, die nicht nur aktiv in der Mannschaft fährt, sondern auch als sportliche Leiterin fungiert. Jedes Mädchen aus der Gemeinde habe das Einradfahren einmal ausprobiert. Viele sind geblieben. Werbung, um neue Mitglieder zu gewinnen? Beinahe überflüssig.
Stefanie Barz fährt in der 6erMannschaft, die sich neben zwei 4er-Teams für die deutsche Meisterschaft qualifiziert hat. Die Liste der Erfolge ist lang beim Radfahrer- verein. Stets werden die oberen Plätze bei bayerischen und deutschen Meisterschaften gewonnen. Doch heuer ist der Saisonhöhepunkt für die Sportlerinnen etwas ganz Besonderes. Ging die Reise zur „Deutschen“in vergangenen Jahren meist in den Norden Deutschlands, findet der Wettbewerb am morgigen Samstag, 20. Oktober, im gerade einmal eine Stunde entfernten Neresheim bei Nördlingen statt. Fans, Eltern und Freunde können live mitfiebern und anfeuern. „Das freut einen natürlich, auch wenn die Nervosität etwas steigen wird“, sagt Jasmin Roßmann, die wie Stefanie Barz 25 Jahre alt ist und im 6er-Team fährt.
Die beiden Frauen verbindet seit vielen Jahren eine Freundschaft. Seit ihrer Kindheit fahren sie in einer Mannschaft, kennen sich bestens. Ihre erste Trainerin im Alter von sechs Jahren war einst Sabine Pfeifer und ist es noch immer. Eine Geschichte, die das Besondere beim Radfahrerverein zum Ausdruck bringt. Sabine Pfeifer ist Burgheimerin, fuhr früher selbst. Noch in ihrer aktiven Zeit begann sie, ihr Wissen an den Nachwuchs weiterzugeben. Inzwischen ist die 35-Jährige Mutter, lebt in Aichach. Doch ihrem Heimatverein blieb sie treu. Auch Stefanie Barz und Jasmin Roßmann trainieren jüngerer Einradfahrerinnen. Es ist ein ständiges Geben und Nehmen, das den Verein mit Leben erfüllt und ihn am Leben hält.
14 Mannschaften, von den Schülern (U16) über die Jugend (U19) bis zur Elite, also den Erwachsenen, treten für den RV Burgheim an. Jedes Team stellt eine Kür, den sogenannten „Reigen“, ihrem Leistungsstand entsprechend zusammen. Dieser besteht aus 20 bis 23 Elementen, den sogenannten „Bildern“, die in einem bundesweit festgelegten Reglement vorgegeben sind. Die Bilderfolge muss auf Meisterschaften innerhalb von fünf Minuten fehlerfrei einem Kampfgericht präsentiert werden. Welch Schwierigkeit irgendwann erreicht ist, wenn man zur Elite zählt, zeigen die Burgheimer. Soll bei einer deutschen Meisterschaft eine vordere Platzierung herauskommen, muss rückwärts gefahren werden. Sich auf einem Einrad vorwärts zu bewegen, was für viele schon ein Ding der Unmöglichkeit darstellen dürfte, ist beinahe verpönt. Um einen Auftritt speziell wirken zu lassen, wird er musikalisch untermalt. „Dramtisch“solle die Musik klingen, sagt Stefanie Barz, die sich zumeist um die Auswahl kümmert. „Zu ruhig ist nicht gut, zu wild erst recht nicht.“
Hektisch geht es während des fünfminütigen Programms nicht zu. Konzentriert reihen die Sportlerinnen Bewegung an Bewegung. Sind im Training noch Fehler erlaubt, werden sie im Wettkampf erbarmungslos bestraft. „Ein Quäntchen wird entscheiden“, weiß Jasmin Roßmann. Passiere bei einer Meisterschaft ein Schnitzer, „sind schon auch mal Tränen geflossen“.
Was ist also drin bei der deutschen Meisterschaft? Während Jasmin Roßmann und Sabine Pfeiffer von Podestplätzen sprechen, gibt sich Stefanie Barz optimistischer. Sie träumt vom Titel, was zumindest der aktuellen Burgheimer Generation bisher verwehrt blieb.