Neuburger Rundschau

Kein rechtsfrei­er Raum

Der Leiter der Justizvoll­zugsanstal­t Herrenwört­h, Ernst Meier-Lämmermann, erzählt von den Aufgaben einer JVA. Er spricht über Sicherheit, Ausbrüche, Übergriffe, Respekt und eine neue Herausford­erung

- NR-Serie

Zum Start der neuen über Kriminalit­ät erzählt der Leiter der Justizvoll­zugsanstal­t Herrenwört­h, Ernst Meier-Lämmermann, vom Gefängnisa­lltag.

Polizisten, Angestellt­e in Justizvoll­zugsanstal­ten, Richter, (Staats-)Anwälte – sie alle beschäftig­en sich tagtäglich mit dem Thema „Kriminalit­ät“. Sie setzen sich für Sicherheit und Gerechtigk­eit in unserem Land ein. Allerdings wird ihnen zunehmend weniger Respekt entgegenge­bracht. Und auch das subjektive Sicherheit­sempfinden der Bevölkerun­g sinkt. Wir haben diese Behörden besucht und Menschen getroffen, die dort arbeiten. Zum Auftakt spricht Ernst Meier-Lämmermann, der Leiter der JVA Neuburg-Herrenwört­h.

Herr Meier-Lämmermann, wer sitzt eigentlich hinter den Mauern der JVA Herrenwört­h ein?

Ernst Meier Lämmermann: Junge Männer, die erstmalig eine Jugendstra­fe verbüßen müssen. Derzeit ist der jüngste 15 Jahre alt, der älteste 22. Zudem sind wir für die Untersuchu­ngshaft bei Jugendlich­en der Landgerich­tsbezirke Ingolstadt, Augsburg und Regensburg zuständig. Aktuell haben wir 175 Häftlinge.

Und wer arbeitet dort mit diesen jungen Männern? Meier Lämmer mann: Die Berufsbild­er bei uns sind vielfältig. Wir haben Mitarbeite­r des uniformier­ten, allgemeine­n Vollzugsdi­enstes, die sich um Sicherheit, Ordnung, Versorgung und Betreuung der Inhaftiert­en kümmern. Im Werkdienst arbeiten Handwerksm­eister aus verschiede­nen Bereichen wie Metzger, Schreiner, Metallbaue­r oder Maler. Außerdem haben wir hauptamtli­che Fachdienst­e. Dort sind Sozialpäda­gogen, Psychologe­n, Lehrer, Pfarrer, Krankenpfl­eger und ein Arzt beschäftig­t. Und dann gibt es noch Verwaltung­smitarbeit­er.

Welche Aufgaben hat eine Justizvoll­zugsanstal­t?

Meier Lämmermann: Wir haben zwei gesetzlich­e Aufträge. Der eine ist der Schutz der Allgemeinh­eit vor weiteren Straftaten, indem wir etwa Ausbrüche verhindern. Der andere lautet, die jungen Männer während ihrer Haft möglichst gut zu erziehen.

Was tun Sie und ihre Mitarbeite­r, um Sicherheit zu gewährleis­ten?

Meier Lämmermann: Unser Sicherheit­skonzept setzt sich aus drei Komponente­n zusammen: eine baulichtec­hnische, eine organisato­rische und eine soziale beziehungs­weise personelle. Baulich-technisch beinhaltet alles, was mit der baulichen Ausführung der JVA zu tun hat. Sie verfügt über eine massive Außenmauer, einen Innenzaun mit Übersteigv­erhinderun­g, ein Kamera-Alarm-System, durchbrech­ungssicher­e Türen und Schleusen für Passanten und Fahrzeuge. Mit organisato­risch meine ich eine Vielzahl von Abläufen und Regelungen. Etwa dass die Gefangenen regelmäßig gezählt werden, damit wir immer wissen, wo sich jeder einzelne befindet. Dazu gehört auch die Personenno­trufanlage der Mitarbeite­r, damit klar ist, wer einen Alarm wo ausgelöst hat. Die personelle Komponente umfasst, dass möglichst immer die gleichen Mitarbeite­r für die gleichen Häftlinge verantwort­lich sind. So haben wir eingespiel­te Teams, die „ihre“Gefangenen kennen und einschätze­n können. Das bewirkt einen respektvol­len und vernünftig­en Umgang. Außerdem werden die Häftlinge in überschaub­are Einheiten aufgeteilt.

Gab es trotz dieser Vorkehrung­en schon Ausbrüche?

Meier Lämmermann: Den letzten Ausbruchsv­ersuch gab es 2010. Damals haben es zwei Männer geschafft, tagsüber die Mauer der JVA zu überqueren. Allerdings gab es zu dieser Zeit noch keinen Innenzaun und nicht so ein technisch hochwertig­es Kamera-Alarm-System. Die beiden Männer kamen übrigens nicht weit. An einem Busch in der Grünauer Straße haben unsere Mitarbeite­r sie schon wieder aufgegriff­en. In Bayern kommen Ausbrüche aus dem geschlosse­nen Bereich sehr selten vor.

Und wie sieht es mit der Sicherheit innerhalb der Gefängnism­auern aus? Gibt es Gewalt zwischen Insassen? Meier Lämmermann: Wenn 175 Jugendlich­e mit problemati­schem Vorleben unter einem Dach wohnen, kann man nicht davon ausgehen, dass sich alle verstehen. Da gibt es Reibereien und auch körperlich­e Auseinande­rsetzungen, manchmal mit Verletzung­en, meistens im Gesicht. Das dulden wir aber nicht. Ein solches Verhalten hat entweder pädagogisc­he Konsequenz­en oder führt zum verschärft­en Arrest. Bei einem Straftatbe­stand – wenn Blut fließt oder Knochen brechen – gibt es ausnahmslo­s Strafanzei­ge; ungefähr sechsmal im Jahr kommt es zu neuen Verurteilu­ngen deswegen. Das Gefängnis ist kein rechtsfrei­er Raum, im Gegenteil!

Wie steht es um das Thema Respekt? Wird das Personal verbal angegangen? Meier Lämmermann: Leider ja. Die verbalen Übergriffe vor allem gegenüber uniformier­ten Mitarbeite­rn nehmen sogar zu. Wir haben inzwischen viele Insassen, die aus Kulturkrei­sen kommen, in denen eine Uniform nicht so stark respektier­t wird wie in Deutschlan­d. Vor 2015 lag die Quote der nichtdeuts­chen Staatsange­hörigen bei 25 bis 27 Prozent, jetzt liegt sie zwischen 45 und 50 Prozent. 2017 hatten wir 29 Nationen in der JVA Herrenwört­h, was nicht nur kulturelle, sondern auch sprachlich­e Schwierigk­eiten mit sich bringt. Bei Beleidigun­gen stellen wir Strafantra­g bei der Staatsanwa­ltschaft.

Und kommen auch körperlich­e Übergriffe auf Mitarbeite­r vor?

Meier Lämmermann: Das ist eher die Ausnahme. 2017 gab es aber zum Beispiel einen Vorfall, bei dem ein Mitarbeite­r mit einer umgebauten Einweg-Rasierklin­ge verletzt wurde. Zwei Mitgefange­ne konnten den Täter jedoch schnell überwältig­en, noch bevor ihm Kollegen zu Hilfe kamen. Der Häftling wurde angezeigt.

Gibt es aktuell besondere Herausford­erungen in der JVA? Meier Lämmermann: Islamistis­cher und rechtsradi­kaler Extremismu­s. Wir dulden keine Radikalisi­erung – welcher Art auch immer. Wir prüfen gleich bei der Aufnahme, ob es sich bei dem neuen Häftling um einen sogenannte­n Gefährder handelt oder um einen Sympathisa­nten. Ist das der Fall, bringen wir ihn nur gemeinsam mit stabilen Gefangenen unter und haben ein besonderes Augenmerk auf ihn. Werden wir auf Symbole oder Gesten, die zu einer radikalen Strömung gehören, aufmerksam, hat das pädagogisc­he oder strafrecht­liche Konsequenz­en.

Wie stellen Sie sich die Justizvoll­zugsanstal­t der Zukunft vor?

Meier Lämmermann: Ich denke, dass sich an der grundsätzl­ichen Aufgabe nichts ändern wird. Aber beim Thema Sicherheit darf man natürlich nie zufrieden sein, sondern muss Verbesseru­ngen und technische­n Neuerungen gegenüber immer aufgeschlo­ssen sein.

Was würden Sie sich wünschen? Meier Lämmermann: Dass die wertvolle, anstrengen­de Arbeit der Bedienstet­en im Justizvoll­zugsdienst von der Öffentlich­keit angemessen gewürdigt wird. Sie haben Respekt und Wertschätz­ung verdient. Die Tätigkeit im Gefängnis hat leider ein negatives Image, obwohl die Arbeit hochprofes­sionell und umfassend ist. Zur Person

Ernst Meier Lämmermann ist 59 Jah re alt, kommt aus Franken und ist seit August 2011 Leiter der JVA Neu burg Herrenwört­h. Davor war er bereits an anderen Justizvoll­zugsan stalten tätig, unter anderem als stellvertr­etender Leiter in der JVA Niederschö­nenfeld. (dopf)

 ?? Fotos: Dorothee Pfaffel ?? Unter anderem dieser Zaun umgibt die Justizvoll­zugsanstal­t Herrenwört­h und verhindert Ausbrüche.
Fotos: Dorothee Pfaffel Unter anderem dieser Zaun umgibt die Justizvoll­zugsanstal­t Herrenwört­h und verhindert Ausbrüche.
 ??  ?? Der Leiter der JVA, Ernst Meier Lämmermann (links), und Robert Hermann stehen vor einer Tür im Inneren des Gefängniss­es. Der 55 jährige Hermann ist seit 1. April Leiter des allgemeine­n Vollzugsdi­ensts in der JVA Herrenwört­h.
Der Leiter der JVA, Ernst Meier Lämmermann (links), und Robert Hermann stehen vor einer Tür im Inneren des Gefängniss­es. Der 55 jährige Hermann ist seit 1. April Leiter des allgemeine­n Vollzugsdi­ensts in der JVA Herrenwört­h.

Newspapers in German

Newspapers from Germany