Armer Mensch am Telefon
Man redet nicht mehr miteinander. Diese Klage ist überall zu hören. Stark zurückgegangen sind tatsächlich die Unterhaltungen in der Schafkopfrunde, der Tratsch vor der Haustür oder die Plauderei im Bäckerladen. Im Gespräch konnte man früher das innerste Wesen eines Zeitgenossen erfassen. Heute muss man ihn beobachten, wie er mit dem Handy umgeht. Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, im Restaurant einen Bekannten treffen, der sein Smartphone bereits neben den Suppenteller gelegt hat, erkennen Sie sofort, dass dieser Mensch Bedeutenderes zu tun hat, als mit Ihnen zu reden. Wenn Sie ein Autofahrer am Lenkrad mit der Rechten begrüßt und mit der Linken das Handy umklammert, sollten Sie wissen, dass das einer ist, dem die digitale Erreichbarkeit wichtiger ist als die Sicherheit im Straßenverkehr. Die moderne Kommunikationstechnik hat aber auch einen ganz neuen Typ erschaffen. Es handelt sich um jene Mitbürger, die zur Toilette rasen, um dort zu telefonieren. Dieses Produkt der Evolution hat nicht nur ein Gefühl dafür bewahrt, dass laute Ferngespräche die Umwelt stören können. Es ahnt auch, dass mancher HandyDialog erst durch die Wahl des Gesprächsortes richtig bewertet wird. Wir telefonieren und wissen nicht immer warum. Es gilt Tucholsky: „Was wäre der Mensch ohne Telefon! Ein armes Luder. Was aber ist er mit dem Telefon? Ein armes Luder.“