Die Bedeutung der Großeltern
Wie wichtig ist ihre Beziehung zu den Enkeln für die Entwicklung der Menschheit?
Oma ist die Beste. Das wird mancher Fünfjährige bestätigen. Aber auch wissenschaftlich betrachtet halten das viele Experten für korrekt – und stützen die Annahme auf immer neue Argumente. „Die Großmutter-Hypothese ist sehr populär“, sagt Alexander Pashos vom Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle. Aber stimmt sie auch?
Sie wurde von der US-Anthropologin Kristen Hawkes entwickelt und besagt, dass Großmütter früh in der Menschheitsgeschichte für ihre Enkel sorgten – mit Folgen. Verglichen mit anderen Tieren haben die Kinder von Homo sapiens jedenfalls eine extrem lange Kindheit, weil ihr Nervensystem viel Zeit zum Ausreifen braucht. Ihre Überlebenschancen waren besser, wenn sich Oma möglichst lange um sie kümmern und ihre Töchter entlasten konnte. In der Umwelt des Pleistozäns – dem Zeitalter riesiger Tiere und großer Klimaschwankungen, sei es Eltern schwer möglich gewesen, ihre Kinder allein aufzuziehen, erklärt Alexander Pashos. Familien mit langlebigen Großmüttern hätten darum einen evolutionären Vorteil gehabt. In der Folge setzten sich Gene für Langlebigkeit immer stärker durch – so die Theorie.
Das Ende der fruchtbaren Lebensspanne von Frauen verschob sich unterdessen kaum. Ihre Menopause – den Zeitpunkt der letzten Menstruation um das 50. Lebensjahr – überleben Frauen heutzutage gewöhnlich um Jahrzehnte. Bei vielen überwiegt gar die Zeit, in der sie keine Kinder mehr bekommen können. Wie passt das zu einer Evolution, die die Weitergabe von Erbgut anstrebt? Eine Analyse dazu stellten Forscher im Journal
vor. Ein Team vom Forschungsinstitut ISEM in Montpellier schuf eine Computersimulation menschlicher Populationen: Unter welchen Bedingungen entstand bei den virtuellen Völkern eine Menopause der Frau?
Ergebnis: Kognitive Leistungsfähigkeit und das Kümmern um Enkel waren Faktoren, die zu ihrer Entstehung und einer langen Lebensspanne nach Ende der fruchtbaren Lebensjahre führten. Auf körperliche Leistungsfähigkeit kam es weniger an. „Geistiges Leistungsvermögen ermöglicht das Anhäufen von Fähigkeiten und Erfahrungen im Lebensverlauf, was wiederum einen Vorteil bei der Ressourcennutzung bietet“, erklärt Aimé. Komme dieses Wissen dank einer gestoppten Vermehrung stärker dem vorhandenen Nachwuchs zugute, sorge das für fruchtbarere Kinder und bessere Überlebenschancen der Enkel.
Analysen und europäische Daten aus dem 18. und 19. Jahrhundert stärken die Großmutter-These weiter, sagt Pashos. Die Kindersterblichkeit war geringer, wenn Oma noch im Haus war, der Ernährungsstatus der gesamten Familie besser. Allerdings finde sich der Effekt vor allem für Omas mütterlicherseits. Eine Studie in Friesland ergab demnach gar einen negativen Einfluss der Großmutter väterlicherseits auf das Überleben der Enkel.
Generalisieren ließen sich solche Ergebnisse nicht, betont Pashos in einem Beitrag der Encyclopedia of Evolutionary Psychological Science. Großen Einfluss hat demnach etwa die Struktur einer Gemeinschaft. In stark patriarchalischen Gesellschaften seien die Großeltern väterlicherseits entscheidend. „Oft ist es dort so, dass die Frau in die Familie des Mannes einheiratet und kaum noch Kontakt zu den eigenen Eltern hat.“Manchmal gebe es sogar unterschiedliche Bezeichnungen für die Großeltern mütter- und väterlicherseits. „In westlichen Ländern aber nennen die meisten Menschen die Großmutter mütterlicherseits, wenn man sie fragt, welches der vier Großelternteile sich früher am meisten gekümmert hat und zu welchem die engste Bindung besteht“, sagt Pashos. Am wenigsten involviert in die Enkel-Beziehungen sei oft der Großvater väterlicherseits. Das liege nicht zwingend an den Großeltern selbst. Frauen, oft zuständig für die Kindeserziehung, hätten meist die engeren Familienbindungen und suchten Rat und Unterstützung am ehesten bei der eigenen Mutter.
Einer weiteren Studie zufolge könnten Großmütter auch eine entscheidende Rolle dafür gespielt haben, dass der Mensch so ausdauernd in Paarbeziehungen lebt. Die Hypothese: Weil Großmütter wichtig waren und sich die Lebenserwartung des Menschen darum im Laufe der Zeit erhöhte, entfielen immer mehr auch im hohen Alter noch zeugungsfähige Männer auf Frauen im fruchtbaren Alter. Eine feste Paarbindung habe ihnen deutlich höhere Aussichten auf viele Nachkommen verschafft als wechselnde OneNight-Stands, erklärten Forscher aus Utah in den der USAkademie der Wissenschaften.
Nützlich für das Überleben von Familien könnte Forschern zufolge eine typische Eigenheit von Senioren beiderlei Geschlechts gewesen sein: die zunehmende Schlaflosigkeit im Alter. Sie könnte ein uralter Überlebensmechanismus sein, berichteten Forscher von der Duke University im US-Staat North Carolina in Unterschiedliche Schlafmuster in einer Gruppe erhöhen demnach die Wahrscheinlichkeit, dass zu jeder Tages- und Nachtzeit jemand wach ist und Gefahren erkennen kann. Die Wissenschaftler haben die Erkenntnis aus Studium des Lebens der Hadza gewonnen, die als Jäger und Sammler im Norden Tansanias leben.
Für ältere Menschen mit Schlafstörungen könnte das ein kleiner Trost sein. Vielleicht, so die USForscher, fehle den Menschen gar nichts: „Vielleicht können wir einige heutige Gesundheitsprobleme nicht als Erkrankung, sondern als Relikt einer evolutionären Vergangenheit sehen, in der sie von Vorteil waren.“Nur „waren“?
Nein, meint Alexander Pashos. Gerade heute, im Zeitalter bis ins hohe Alter fitter Omas und Opas, gelte das nicht weniger. „Die Großeltern werden jetzt erst mal so richtig bedeutsam.“
Auch die Schlaflosigkeit im Alter hatte ihren Nutzen