Mahdi soll bleiben
Integration Er lernt in einem Supermarkt, Kinder grüßen ihn auf der Straße und er fühlt sich zum ersten Mal zuhause. Trotz aller Mühen droht ihm die Abschiebung. Seine Freunde wehren sich
Seltsam. Da sitzt ein junger Mann im Café Zeitlos am Schrannenplatz und sagt, dass er nicht gut Deutsch spreche. Keine zehn Minuten später erklärt er Schritt für Schritt, wie man sich den ersten blauen Gürtel im Taekwondo verdient. Auf Deutsch. Mahdi Gohrbani zückt sein Handy und zeigt Videos. Eine Drehung, ein Tritt. Ein Brett bricht entzwei. Der 19-jährige Afghane hat gelernt, seine Kraft zu dosieren. Er weiß, wie man Bretter im Dojo zerschlägt. Er konzentriert sich, denkt nur an den wichtigsten Punkt für diesen Moment und – Zack!
Wenn nur alles so einfach wäre, wie Bretter zertreten. Mahdi steht seit zwei Wochen vor dem härtesten Stück Holz, dass er jemals gesehen hat. Es ist keinen Millimeter dick und hat eine Normgröße: DIN A4. Mahdi hat Post aus München bekommen, vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Darin stehen zwei klare Anweisungen: Er habe zwei Wochen Zeit, um über seinen Anwalt Widerspruch einzulegen. Ansonsten müsse er zurück nach Afghanistan. Zurück in das Land, aus dem er vor fast drei Jahren geflohen ist.
Mahdis Geschichte kennen mittlerweile viele Neuburger. Natalie, eine gute Freundin aus dem Taekwondo-Kurs, habe eine Unterschriftenliste gestartet, erzählt er. Die Liste ist mit dem Satz überschrieben: „Wir kämpfen für unseren Mahdi.“– „Unseren.“Mahdi ist angekommen in Neuburg. Er sagt, die Stadt sei seine Heimat. Er macht Sport, eine Ausbildung bei Rewe im Gewerbegebiet an der Nördlichen Grünauer Straße, geht zur Schule, trifft sich mit Freunden. Er lacht, wenn er an sie denkt. Er weint, wenn ihn seine Vergangenheit einholt: das Leben in Afghanistan und die lebensgefährliche Flucht in den unbekannten Westen.
Dank seines „guten Onkels“sei er aus Afghanistan geflohen, berichtet Mahdi im Café Zeitlos. Er habe schreckliche Dinge erlebt. Mehr will er über die Jahre in seinem zerrissenen und umkämpften Geburtsland nicht sagen. Im Iran traf er auf prügelnde Polizisten. An der türkischen Grenze auf schießende Polizisten.
Als er nach einem Monat Odyssee durch Staaten, von denen er noch nie gehört hatte, in Deutschland ankommt, trifft er wieder auf Polizeibeamte. Plötzlich wird er nicht geschlagen. Niemand schießt auf ihn. Sie stellen ihm einen Übersetzer an Repro: Bastian Sünkel die Seite, der Dari spricht. Mahdi erzählt seine Geschichte. Einen Ausweis hat er nicht. Die Polizisten rufen ihm ein Taxi nach Rosenheim. Von dort kommt er im Oktober 2014 nach Neuburg. Ein neues Leben beginnt.
Mahdis Chef, Stefan Guggenmos, hat den Aufruf auf der FacebookSeite seiner Rewe-Filiale geteilt. Er will seinen Auszubildenden auf alle Fälle behalten. Er wundert sich darüber, dass Mahdis Asylantrag überhaupt abgewiesen wurde. Er habe sich auf Paragraf 60a des neuen Integrationsgesetzes verlassen, das vergangenes Jahr im Bundestag verabschiedet wurde. Die sogenannte 3+2-Regelung besagt, dass Flüchtlinge für die Dauer ihrer Ausbildung und zwei Jahre als Angestellte nicht ausgewiesen werden dürfen – auch wenn der Asylantrag abgelehnt wird. Sie sind demnach geduldet. Mahdi hat Widerspruch gegen die Abschiebung eingelegt und sich einen Anwalt gesucht, der ihn am Verwaltungsgericht vertreten soll. Er und seine Freunde wollen um seine Zukunft kämpfen. Sie sammeln Unterschriften, um zu zeigen, dass Mahdi längst integriert ist. Sein Ausbildungsbetrieb Rewe, die Drogerie Müller am Schrannenplatz und das Taekwondo-Studio von Jürgen Schmidt haben Unterschriftenlisten ausgelegt.
In die Bredouille gebracht haben sich die Protagonisten selbst. Alfred Lehmann, der Ingolstadt als Oberbürgermeister so weit nach vorne gebracht hat, hat Erfahrung genug um zu wissen, welches Risiko dieses Zusammenspiel als Gesellschafter, Berater, Mandatsträger und seine Funktion bei der IFG in sich birgt. Warum er sich darauf eingelassen hat, weiß wohl nur er selbst. Auch Christian Lösel als amtierendem OB hätte bewusst sein müssen, in welche Schwierigkeiten er sich durch diese Verwicklungen bringen kann. Und Hans Mayr, der erfahrene Kommunalpolitiker und langjährige Unternehmer, hätte die Folgen ebenfalls bedenken müssen, die dieses Geflecht mit sich bringt.
Natürlich ist grundsätzlich nichts gegen ein Engagement der Lehmann/Lösel-Gesellschaft in Neuburg zu sagen. Auch nicht gegen eine Beraterfunktion für Lehmann beim Bauunternehmen Hans Mayr. Doch die Positionen und geschäftlichen Beziehungen, die die Beteiligten gleichzeitig bekleidet haben und noch bekleiden lassen ganz einfach viel Raum für Spekulationen. Ein Gschmäckle also bleibt – egal, ob an den Vorwürfen etwas dran ist, oder nicht.