Zwischen Streichelzoo und Tierfabrik
Hintergrund Das Ideal des bäuerlichen Familienbetriebs und die Auswüchse der Agrarindustrie prallen am Rande der Grünen Woche aufeinander. Wie die Landwirtschaft um ihre Zukunft ringt
Der landwirtschaftliche Verkehr zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor in Berlin hält sich normalerweise in engen Grenzen. Am Wochenende aber sorgten Schlepper, die aus allen Himmelsrichtungen in die Bundeshauptstadt knatterten, für massive Verkehrsbehinderungen. Und der Konvoi, den die rund 130 Traktoren schließlich formten, war mitnichten als Werbemaßnahme für die „Grüne Woche“gedacht, die derzeit stattfindet. Die Ernährungsmesse ist nicht nur Gelegenheit, Tiere zu streicheln und Käse zu probieren, sondern auch Bühne für politische Botschaften. Immer offener treten die Konflikte zwischen bäuerlichen Kleinbetrieben auf der einen und der Agrarindustrie auf der anderen Seite zu Tage. Mehr denn je ringt die Landwirtschaft in Deutschland und auf der ganzen Welt um ihre künftige Ausrichtung. Für viele Betriebe geht es um die nackte Existenz.
Die Proteste der rund 10 000 Demo-Teilnehmer, zu denen ein Bündnis von rund 100 Organisationen aus konventioneller und ökologischer Landwirtschaft sowie Tierund Umweltschutz aufgerufen haben, richten sich gegen „Tierfabriken“, Umweltverschmutzung durch übermäßigen Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden sowie „Dumping-Exporte“von Lebensmitteln. Gemeinsames Feindbild ist „die Agrarindustrie“. Der einhellige Wunsch: „Bäuerliche Landwirtschaft stärken“, wie es auf einem Transparent heißt.
Eine Gegendemo, deutlich kleiner, aber ebenfalls mit Traktoren, wirft den Teilnehmern des größeren Zuges Diffamierung vor. „Wir machen euch satt“lautet ihr Motto, mit der Landwirtschaft sei alles in Butter, es gehe um die Sicherung der Ernährung – weltweit.
Um die globalen Fragen ging es auch bei der Agrarministerkonferenz am Rande der Grünen Woche. Dabei sprachen sich die Vertreter der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G 20) für eine sparsamere Wassernutzung im Pflanzenbau und die Begrenzung des Einsatzes von Antibiotika in der Tierhaltung aus. Landwirte sollten zudem auch an der Digitalisierung der Wirtschaft teilhaben. Gerade bei Kleinbauern könnten etwa Wetterdaten zur effektiveren Wassernutzung beitragen, sagte der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). Auch im ganz großen, weltweiten Maßstab wird es bemüht, das Bild vom wackeren Kleinbauern, den es zu unterstützen gilt – auch um die Landflucht als Fluchtursache zu bekämpfen.
Dabei, so kritisieren die Demonstranten vor dem Brandenburger Tor, sehe die Realität längst anders aus. Internationale Konzerne dominierten die weltweite Nahrungsmittelproduktion. Auf allen Kontinenten müssten Kleinbetriebe den Agrarfabriken weichen. In Südamerika, Asien oder Afrika, so klagen sie, roden Rohstoffspekulanten immer mehr Regenwald, vernichten Artenvielfalt und schaden dem Weltklima. Um etwa Palmölplantagen anzulegen, auf denen „Biosprit“erzeugt wird, der garantiert nicht umweltfreundlich sei.
Auch für die Produktion von Soja als Futter für die industrielle Tiermast werden nach Angaben von Umweltschutzverbänden jedes Jahr riesige Flächen gerodet oder einfach abgefackelt. Westliche Investoren, zunehmend auch arabische oder chinesische Staatsunternehmen, reißen sich demnach ganze Landstriche unter den Nagel. Wenn es darum gehe, „lästige“Landbevölkerung zu vertreiben, könnten sich die Spekulanten auf die Unterstützung korrupter Machthaber verlassen. „Land grabbing“heißt das Phänomen, das aus Kleinbauern oftmals rechtlose Tagelöhner macht – oder Flüchtlinge, die in den Industrienationen eine bessere Zukunft suchen.
Dass sich an den Verhältnissen durch die Pläne der G20-Agrarminister schnell etwas ändert, glaubt im Lager der Demonstranten keiner. Landwirtschaftsminister Schmidt gilt hier als Sprachrohr vor allem der großen Agrarbetriebe. Schmidt selbst hat deutlich gemacht, dass er von „revolutionären Akten“wenig hält. Veränderungen müssten „unter dem rollenden Rad“erreicht werden, sagt er und verweist auf das künftige Tierwohlsiegel, das er kürzlich vorgestellt hat.
Positiv aufgenommen im Lager der Demonstranten, die eine Agrarwende fordern, wird indes ein Vorschlag, den Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) auf den Tisch gelegt hat. Sie fordert, die gesamte EU-Landwirtschaftspolitik grundlegend zu reformieren. Bislang richtet sich die Vergabe der insgesamt rund 50 Milliarden Euro Subventionen an die Landwirte in der Union vor allem nach der Betriebsgröße. Wer viele Flächen oder große Ställe hat, kassiert entsprechend viel. Künftig aber, schlägt Hendricks vor, sollten Bauern nur dann Beihilfen bekommen, wenn sie nicht nur qualitativ hochwertige Lebensmittel herstellen, sondern gleichzeitig für die Gesellschaft wichtige Aufgaben erfüllen – etwa im Landschafts-, Natur-, Tier- und Artenschutz.
Von Landwirtschaftsminister Schmidt ist aber bekannt, dass er die EU-Förderrichtlinien allenfalls teilweise korrigieren, nicht aber grundlegend ändern möchte. Der Streit um die grundsätzliche Ausrichtung der Landwirtschaft könnte so zum Zankapfel zwischen SPD und Union im Wahlkampf oder in möglichen Koalitionsverhandlungen werden.