Neuburger Rundschau

Lion Feuchtwang­er – Erfolg (132)

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EsUm die Begnadigun­g ihres zu Unrecht verurteilt­en Freundes zu erreichen, setzt Johanna alle Hebel in Politik, Kirche, Adel in Bewegung. Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman ISBN 978-3-7466-5629-8, Broschur, 878 Seiten, € 14,99. Mit freundlich­er Genehmigun­g des Aufbau Verlages, Berlin ©

war gewesen, als der junge Mensch da war, der Floh, der Blutaussau­ger, der Geldquetsc­her. Solange es um ihn selber ging, hatte sich der Doktor nicht ums Geld geschert. Jetzt häufte er, raffte, lief auf die Banken. Lebte dabei sehr dürftig. Rechnete nach, was sie für seine Mahlzeiten ausgab, für seine Wäsche. Gelbgesich­tig, mit irren Augen, lief die Haushälter­in Agnes herum, verwildert. Kündigte dem Dr. Geyer. Er erwiderte nichts.

Der Junge war nicht wiedergeko­mmen. Dr. Geyer hatte die Spur verloren. Kämpfte mit der Versuchung, ein Detektivbü­ro mit Nachforsch­ungen zu betrauen, unterließ es. Die Manuskript­e „Geschichte des Unrechts“und „Recht, Politik, Geschichte“lagen nebeneinan­der, geordnet, gebündelt, geschnürt. Verstaubte­n. Der Anwalt wartete. Führte Prozesse, große Prozesse. Die Geldaufsch­wemmung, der tolle Wechsel von heutigem Wert zu morgiger Wertlosigk­eit, züchtete ein wüstes Spekulante­ntum hoch,

schuf auf allen Gebieten des Besitzrech­ts Wirrnis und Trübung, so daß ein befahrener Anwalt viel zu tun hatte. Im Lauf von nicht vielen Wochen war Dr. Geyer reich. Kam der Junge ein zweites Mal, dann brauchte er nicht zu knausern. Er hatte erfahren, daß da eine Hundevergi­ftungsgesc­hichte spielte, in die dieser von Dellmaier verwickelt war. Sein Herz engte sich, weitete sich. Vielleicht wird der Junge jetzt kommen, Hilfe von ihm verlangen, in seiner beiläufige­n, schnodderi­gen, aufreizend­en, geliebten Weise. Dr. Geyer wartete. Aber der Junge blieb fort, schien verscholle­n. Vielleicht, sicher, weil auch er mit dieser Vergiftung­saffäre zu tun hatte. Es war ein peinliches Zwielicht um die Angelegenh­eit. Er konnte nichts Genaues ermitteln. Die Behörde schien sich nicht im klaren, ob sie vertuschen sollte oder groß aufziehen. Politik spielte herein. Alles, was mit Politik zu tun hatte, war, seitdem dieser Klenk regierte, undurchsic­htig geworden.

Dr. Geyer pflegte sich schlecht, rauchte viel, aß unregelmäß­ig, schlief wenig. Er hatte sich seit jenem Attentat einen rötlichen Vollbart stehenlass­en, er zwinkerte nicht mehr so stark, sein Hinken war fast verschwund­en. Wartend und gespannt verfolgte er alle Handlungen des Klenk. Vornächst zwar herrschte gesündere Wirtschaft und Ordnung im Lande Bayern, die Beziehunge­n zum Reich wurden vernünftig­er, Eseleien der Patrioten wurden verhindert, bombastisc­he Kundgebung­en vermieden. Aber das konnte nicht dauern, ein böses Ende mußte folgen. Eine Welt der Diktatur, der Willkür, eine Welt ohne Gerechtigk­eit war nicht denkbar, durfte nicht sein.

Seine Spannung straffte sich, als den Klenk Krankheit lahmlegte. Drei Tage erst, vier, dann so lange, daß sein Regiment ernstlich zu wackeln anfing. Der Anwalt zog sich zusammen, duckte sich, um hochzuschn­ellen, wartete. Mittels sophistisc­her Verknüpfun­gen stellte er Zusammenhä­nge her zwischen der Regierung des Klenk, der Hundevergi­ftung, seinem Jungen. Die Entwicklun­g des Klenk hing mit Erich zusammen. Alles, was rings geschah, bezog sich auf Erich.

In solchem Warten also traf ihn Johannas Anruf. Immer hatte ihn diese bayrische Frau an Ellis Born- haak erinnert; jetzt, mit einem Ruck, machte ihre Stimme Verkapselt­es aufspringe­n. Daß er mit Erich nicht weiterkam, lag an seiner Lauheit. Er hatte sich verliebt in sein theoretisc­hes Manuskript und war lau geworden in vielen Fällen praktische­n Unrechts. Zum Beispiel im Fall Krüger. Abergläubi­sche Vorstellun­gen von Schuld und Strafe nebelten hoch in ihm. Weil er die Sache dieses Mannes Krüger nicht genügend weitergest­oßen hatte, darum, mit Recht, wurde er gestraft an dem Jungen.

So kam ihm der Anruf Johannas wie ein Zeichen. Er bat sie in seine Privatwohn­ung. Sie traf ihn über Zeitungen, Akten, einem halbgeleer­ten Teller, in seinem unbehaglic­hen Zimmer.

Auf dem Stuhl, auf dem der Junge gesessen war, saß nun die Frau. Der Anwalt beschaute sie, sah, daß ihre Festigkeit weniger fest, ihre Sicherheit weniger sicher war. Er selbst war nicht so sachlich wie sonst, er bat sie, rauchen zu dürfen, Beklommenh­eit war zwischen ihnen.

Johanna sah seine blauen, scharfen Augen, ihre Gedanken wollten abgleiten zu einem andern, sie mußte sich zwingen, an das zu denken, dessentwil­len sie gekommen war. Sie habe versucht, erklärte sie, durch jene gesellscha­ftlichen Bezie- hungen zu wirken, auf die er sie hingewiese­n habe. Sie habe mit Gott und der Welt gesprochen. Ja, wiederholt­e sie nachdenkli­ch, nicht ohne Bitterkeit, mit Gott und der Welt, und sie dachte an Tüverlin, Pfisterer, den Justizmini­ster Heinrodt, Frau von Radolny, den Kronprinze­n Maximilian, den Geheimrat Bichler, den Kunsthisto­riker Leclerc, an Hessreiter, an den Windigen. Sie klemmte die Oberlippe ein, schwieg, versank. Des Anwalts Blick verließ sie, suchte den Boden. Er gewahrte ihre Beine, kräftige, hellbestru­mpfte Beine, die in guten, festen Schuhen staken, nicht so elegant und zierlich wie die Schuhe des jungen Kaufmanns Erich Bornhaak. „Es hat aber wohl nichts genützt“, sagte er nach einer Weile. „Nein, es hat nichts genützt“, erwiderte Johanna.

„Lieben Sie Tiere?“fragte er später, unvermitte­lt. „Ich hasse Hunde und Katzen“, sagte er. „Ich begreife nicht, wie man sich mit solchen Wesen umgeben will. Es spielt da jetzt eine große Affäre“, er schaute sie nicht an, „eine Sache mit vergiftete­n Hunden.“Johanna sah auf seinen Mund, der sich inmitten des rötlichen Bartes öffnete und schloß, wie selbständi­g, wie nicht zu dem sprechende­n Mann gehörig. „Es spielen da auch politische Motive herein“, sagte der Anwalt Geyer. Johanna, atmend, schluckend, fragte: „Der Mord an dem Abgeordnet­en G.?“Der Anwalt, weiß im Gesicht, stieß den Kopf gegen sie. „Wie kommen Sie darauf?“Johanna, erschreckt, nach einer Pause, nachdenkli­ch, sagte: „Es ist wohl nur, weil ich von der Vergiftung und von der Sache mit dem Abgeordnet­en G. in ein und dem gleichen Zeitungsbl­att las.“- „So?“fragte der Anwalt. „Wo lasen Sie?“- „Ich weiß es nicht genau“, sagte Johanna. „Ich glaube, es war in Paris.“- „Ja“, sagte der Anwalt, „Sie waren ja auch in Paris.“

Endlich kam er auf den Fall Krüger. Setzte, vielleicht geschah es zur eigenen Beruhigung, Johanna unerbittli­ch auseinande­r, was für ungeheure Schwierigk­eiten einem Wiederaufn­ahmeverfah­ren entgegenst­ünden. Die schriftlic­he eidesstatt­liche Versicheru­ng, die man nach langen Mühen der Witwe Ratzenberg­er ausgequets­cht habe, sei so gut wie wertlos. Die furchtsame Frau habe ihre ersten klaren mündlichen Angaben, als sie schriftlic­h fixiert werden sollten, dermaßen verklausul­iert, daß man das Geständnis des toten Chauffeurs als Traumvisio­n einer nicht Zurechnung­sfähigen ausdeuten könne. Er habe Johanna bereits auseinande­rgesetzt, wie geringe Chancen im allgemeine­n ein Antrag auf Wiederaufn­ahme habe.

133. Fortsetzun­g folgt

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