Zeilen ohne Funken Hoffnung
Rafael Chirbes Der beißend-scharfe spanische Autor starb 66-jährig an Krebs
Rafael Chirbes, aufgenommen 2014 in Frankfurt am Main. Foto: dpa Madrid Rafael Chirbes war ein unbequemer Beobachter. Der spanische Schriftsteller, der am Samstag im Alter von 66 Jahren an Lungenkrebs starb, beschrieb mit beißender Schärfe die Schattenseiten seines Landes – von der Diktatur des Franco-Regimes bis zur Immobilienkrise und den Korruptionsskandalen der Gegenwart. „Das ist nicht pessimistisch, das ist die Wirklichkeit“, sagte er einmal. In der von ihm geschilderten Gesellschaft, deren Zynismus und Skrupellosigkeit mitsamt dem Verrat alter Ideale ließ Chirbes sich selbst und dem Leser keinen Platz für einen Funken Hoffnung.
Auch in Interviews äußerte er sich kaum optimistischer. „Wir sehen uns tolle Ausstellungen an, aber wir bestimmen in unserer Gesellschaft nichts mehr“, erklärte er einmal bitter. Ein wenig Zuversicht gewann Chirbes erst wenige Wochen vor seinem Tod mit dem Erfolg der Bürgerbewegung der sogenannten „Empörten“bei den letzten Kom- munal- und Regionalwahlen Ende Mai. Aber auch die neu auftretenden Politiker der „Empörten“hätten sich seiner schonungslos kritischen Begleitung sicher sein können. Die Unabhängigkeit war Chirbes das wichtigste Gut.
In den Jahren des wirtschaftlichen Booms wollten die Spanier von den dunklen Seiten der Franco-Diktatur (1939 – 1975) wenig wissen. Chirbes’ Romane waren im Ausland – vor allem in Deutschland – zeitweise erfolgreicher als im Heimatland des Autors. Für seinen Erfolg auf dem deutschen Markt hatte der Schriftsteller eine einfache Erklärung: „Marcel Reich-Ranicki hat einmal einen Roman von mir öffentlich empfohlen. Das hat mir in Deutschland geholfen.“
Rafael Chirbes hatte sich als Student in einer linken Gruppe im Kampf gegen das Franco-Regime engagiert. Er wurde festgenommen und monatelang inhaftiert. „Er war ähnlich wie die Hauptfiguren in seinen Romanen ein unbequemer Überlebender, der die Vergangenheit nicht vergessen wollte“, würdigte die Zeitung El Mundo am gestrigen Sonntag den Autor. „In der Literatur entdeckte er die beste Form, jene Jahre zu protokollieren, in denen nur einige wenige ein Land verändern wollten, das es sich in der Diktatur bequem gemacht hatte.“
Die Roman-Trilogie „Der lange Marsch“(1996), „Der Fall von Madrid“(2000) und „Alte Freunde“(2003) befasst sich mit der Zeit des Franco-Regimes, dem Ende der Diktatur und dem Übergang zur Demokratie. „Krematorium“(2007) handelt vom Bauboom, der Zerstörung von Naturlandschaften und der Korruption in der Zeit vor dem Platzen der „Immobilienblase“. Er diente auch als Vorlage für eine TV-Serie. „Sie war sehr gut gemacht, aber sie hatte wenig mit meinem Buch zu tun“, meinte der Autor hernach.
Chirbes’ darauffolgendes Werk „Am Ufer“(2013) knüpft unmittelbar an „Krematorium“an und schil- dert ein Land mit Katerstimmung, in dem die Wirtschafts- und Finanzkrise dem Boom ein jähes Ende bereitet hat. Seinen Lesern hat Chirbes aber noch ein weiteres Werk hinterlassen: Sein neuer Roman, „ParisAusterlitz“, wurde kurz vor seinem Tod fertig. Er soll nach Angaben seines Verlags in Spanien in Kürze erscheinen.
Chirbes’ Tod sei „ein schwerer Schlag“für die spanische Literatur, sagte sein Verleger Jorge Herralde der Zeitung El País. „Er war ein Mensch von einer außergewöhnlichen moralischen Integrität.“
Chirbes, Sohn eines Eisenbahners, war in einem Waisenhaus aufgewachsen. Sein Vater starb, als er vier Jahre alt war, die Mutter lebte in Armut. Der Autor bezeichnete sich als Marxist, engagierte sich aber nach dem Ende der Franco-Diktatur nicht mehr in der Politik. Er lebte seit mehreren Jahren zurückgezogen an der spanischen Mittelmeerküste in dem Dorf Beniarbeig nördlich von Alicante. (dpa/epd)