Neuburger Rundschau

Trotz Rollstuhl steht sie mitten im Leben

Schicksal Angelika Hugl aus Bonsal ist nach einem „Ausrutsche­r“vor drei Jahren schwerbehi­ndert. Wie sie ihr Leben als Mutter von neun Kindern meistert – und daraus Kraft schöpft

-

ab, insgesamt viermal wurde sie operiert. Aber nichts beziehungs­weise niemand half. „Die Menschheit kann bis zum Mond fliegen. Wieso nur kann mir niemand helfen?“, habe sie sich in dieser Zeit oft gefragt. Dann stellte ein Münchner Arzt die seltene Diagnose: Angelika Hugl leidet an der Schmerzerk­rankung CRPS (Complex Regional Pain Syndrome), auch „Morbus Sudeck“genannt, und an einer genetisch bedingten Muskelerkr­ankung, beides ausgelöst durch die Verletzung. „Wenn man das frühzeitig erkannt hätte, könnte ich heute wahrschein­lich noch laufen, zumindest mit Krücken“, sagt Hugl. Die Operatione­n hätten ihre Situation nur verschlimm­ert. Und es werde wohl auch nicht mehr besser werden, vermutet die 48-Jährige: „Tendenziel­l wird es sich eher verschlech­tern.“

Aber aufgeben kann und will die Mutter von neun Kindern – sie sind im Alter von sieben bis 27 Jahren – nicht. Den Vormittag, wenn die Kinder, die noch zuhause wohnen, in der Schule sind, verbringt sie mit Krankengym­nastik. Oder damit, um Pflege- und Hilfsleist­ungen zu kämpfen. Auf einen Duschrolls­tuhl wartet sie beispielsw­eise bereits seit neun Monaten. Den Rest der Zeit versucht sie, vom Haushalt so viel selbst zu erledigen, wie sie kann: zum Beispiel kochen, backen oder Wäsche waschen. Alles vom Rollstuhl aus. Zweimal in der Woche kommt eine eigenfinan­zierte Haushaltsh­ilfe: Elisabeth. „Sie ist wie eine Freundin für mich“, erzählt Hugl. Es sei ihr anfangs nicht leicht gefallen, einen Teil der Arbeiten, die sie früher mit Leichtigke­it geschafft habe, abzugeben: „Das muss man erst mal packen.“Und auch jetzt tue sie sich mit fremder Hilfe noch schwer. Sogar das Haus habe sie einst selbst geweißelt und nun könne sie nicht einmal mehr alleine einkaufen gehen.

Jetzt kann Angelika Hugl morgens erst aufstehen, nachdem sie starke Schmerzmit­tel eingenomme­n hat. Doch selbst dann gibt es ein Leben ohne Schmerzen für sie nicht mehr. „Es ist ein ständiges Brennen und Ziehen, wie wenn man von Ameisen gebissen wird“, beschreibt sie das Gefühl. Werden die Schmerzen stärker, fühlten sie sich an wie Nadeln oder gar Messerstic­he. Tagsüber muss sich die 48-Jährige immer wieder hinlegen. Wenn sie Ruhe brauche, würden ihre Kinder stets Rücksicht nehmen, sagt die schwerbehi­nderte Mutter. Auch die Kleinen seien schon sehr selbststän­dig. „Dass man zusammenhi­lft, ist bei uns selbstvers­tändlich.“

Die Kinder seien ihr gegenüber immer noch genauso offen wie vor dem „Ausrutsche­r“, erzählt Hugl. Sie sollen so normal aufwachsen wie möglich. Der Zusammenha­lt in der Familie sei nach dem Unfall sogar noch stärker geworden. Während ihre Mutter spricht, sitzen der siebenjähr­ige Berti und die zehnjährig­e Anastasia brav neben ihr. Sie lächeln. Doch auf Nachfrage geben sie zu, dass sie schon manchmal traurig seien. „Ich finde es schade, dass wir bei dem schönen Wetter nicht mal gemeinsam ins Freibad gehen können“, sagt Anastasia. Und Berti fügt hinzu: „Ich würde mir wünschen, dass Mama mit kann, wenn wir mit der Klasse wandern gehen.“Aber Ausflüge zu machen, ist für Angelika Hugl nur möglich, wenn sie davor abgeklärt hat, ob alles barrierefr­ei zugänglich ist.

Während die 48-Jährige innerhalb ihrer Familie jeden erdenklich­en Rückhalt bekommt, ist es mit anderen Menschen – bekannte oder fremde – schwierige­r geworden. Manche Leute würden sie wie Luft behandeln, einige Freunde hätten sich aus ihrem Leben verabschie­det. Viele könnten sich nur verkrampft mit ihr unterhalte­n oder würden sie mit Phrasen trösten wollen. „Man gewöhnt sich an alles“– das sei für Angelika Hugl der schlimmste Satz, sagt sie. Denn er sei einfach nicht wahr. An ein Dasein im Rollstuhl und vor allem unter Schmerzen werde sie sich nie gewöhnen. Doch ihre Familie gibt ihr Kraft, lässt sie mehr als bloß durchhalte­n. „Ich versuche immer, mit beiden Beinen im Leben zu stehen – obwohl ich gar nicht mehr stehen kann.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany