Gutshausretter werden mit Überraschungen belohnt
Eigentlich sollte das Gutshaus in Dahlen schon abgerissen werden. Doch mit dem „grauen Kasten“haben die neuen Besitzer, ein junges Berliner Paar, vielleicht einen Schatz erworben.
DAHLEN – Gutshaus Dahlen, westlich von Friedland gelegen, wollte keiner geschenkt. Nicht mal für ’nen Euro. Diesen alten „Kasten“mit dem grauen Putz und den KonsumFenstern? Die Gutshausretter Christina von Ahlefeldt und Knut Splett-Henning mit ihrem Gespür für den Schwan im häuslichen Entlein aber lagen völlig richtig, als sie ihren Neubesitz wie immer entkernten: Nicht nur das besondere Licht und die Farben fielen ihnen dabei als ungewöhnlich für diese Bauzeit um 1800 auf.
Knut Splett-Hennings Gespür für Perlen im Dornröschenschlaf schlug jedenfalls Alarm: „Schon bei unseren ersten Besuchen hier hatte ich Freunden gegenüber scherzhaft geäußert, dass Gestaltung, Schlichtheit und Farbgebung mich an Goethes Gartenhaus in Weimar erinnerten. Sowohl in Dachhöhe und Proportionen, die schlichte Fassade, die Farbgestaltung im treffend.“
Und: Gut Dahlen gehörte Isabel Dorothea Helwig, der Schwester des berühmten Malers der Romantik, Philipp Otto Runge. Splett-Henning und von Ahlefeldt stöberten also in Runges Briefen. Besuche des Malers in Dahlen sind mehrfach notiert – insbesondere auch aufgrund seines guten Kontaktes mit seiner Nichte Wilhelmina.
„Vielleicht kauft ihr einen Schatz“, hatte also Knut Splett-Henning zu Giuliana Martinez und Felix Garten gesagt, nachdem Dahlen in den Besitz der jungen Berliner übergegangen war. „Bevor ihr was mit der Decke macht, schickt einen Restaurator!“,
Innenraum beriet er ihnen. Die junge Gesundheitsmanagerin und der Doktorand in Politikwissenschaften waren und sind sich ihrer besonderen Verantwortung sehr bewusst.
Entdeckt wurden im Verlaufe des Baufortgangs tatsächlich wunderschöne Deckenmalereien – laut Restaurator aus der Bauzeit, ohne unterliegende Farbunterschichten. Veilchenblätter, Blätter eine Taglilie oder Feuerlilie, Bünde von Kornblumen – so wie sie auch bei Runges Scherenschnitten zu finden sind, die heute auf Auktionen schon mal für 60.000 Euro ausgepreist sind. Kleine gelbe Blüten sind über mehrere Räume verstreut, und möglicherweise hat Runge sogar selbst Hand angelegt bei einer Ornamentreihe an einer Hohlkehle, zeigt sich Giuliana Martinez begeistert.
„Für uns ist das alles superspannend“, sagt die Halbsardinierin. „Wie eine Entdeckungsreise, vom Keller bis auf die Böden.“Wenn sie mit dem planerischen Teil fertig sind, hoffen Martinez und Garten auf eine Förderung der weiteren Erforschung des Hauses. Immerhin – das Interesse an der Malerei der Romantik ist nicht nur mit dem Caspar-David-Friedrich-Jahr immens gestiegen, 2027 jährt sich auch Philipp Otto Runges 250. Geburtstagsjahr.
Dem Leiter des Wolgaster Runge-Hauses, Stefan Rahde, ist zwar aus den Schriften des
Malers nicht bekannt, dass er „Wände in Dahlen ausschmückte“. Jedenfalls aber räumt er eine „gewisse Feinheit und Qualität“der Bemalungsreste ein.
Aber ob Runge hier Spuren hinterlassen hat oder nicht: Die neuen Gutshausretter von Dahlen leben hier nun im Einklang mit der Natur. „Es ist wie eine Lunge“, schildert Felix Garten. „Im Winter zieht man sich in wenige Innenräume zurück. Und im Sommer atmet man weit aus – alle Türen sind geöffnet, die Achsen durch das Haus werden frei.“Dann genießt das Paar den ganz freien Blick in die Ebene, wie er schon zu frühklassizistischen Zeiten angelegt war.
„Wir sind kreative Menschen und möchten etwas eigenhändig gestalten. Es ist schon eine andere Wahrnehmung von dem, was geschafft ist, wenn man eine Wand eingerissen hat oder fünf Seiten geschrieben“, erklärt Felix Garten, während die Frühlingssonne den Saal beleuchtet und den Blick auf gemütliche Dinge lenkt: Eine Küchenhexe, antike Möbel, verbliebene Kinderkritzeleien an der Wand.
„Den Traum, eine Ruine zu bewohnen, hatten wir schon immer“, erzählen beide. Eigentlich auf der Suche nach einem Bauernhaus, ist es jetzt eben eine „Luxusruine“geworden. „Was habt ihr euch da für einen Kasten aufgesackt“, meinten einige Zeitgenossen verständnislos.
Andere wiederum verstanden: So ein Haus ermöglicht größere Visionen, zu sehen, was andere vielleicht nicht gleich sehen. Dahingehend gilt es gewiss noch vieles zu entdecken. Es stand jedenfalls fünf vor 12 für die Rettung der Decke, von der schon der Putz bröckelte. Das Gutshaus stand nicht unter Denkmalschutz – ein Abriss wurde schon erwogen. Doch nun sind auch hier Gutshausretter am Werk – mit der Hoffnung auf weitere positive Überraschungen.