Neubrandenburger Zeitung

„Die Einsätze an der Nato-Ostflanke haben einen sehr ernsten Hintergrun­d“

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Zur Übergabe des Kommandos über die Panzergren­adierbriga­de 41 „Vorpommern“von Christian Nawrat auf Ralf Peter Hammerstei­n sprach Mirko Hertrich mit den beiden Brigadegen­erälen über Herausford­erungen für den größten Bundeswehr­verband im Nordosten. Herr General Nawrat, fällt der Abschied nach mehr als drei Jahren an der Spitze der Panzergren­adierbriga­de 41 „Vorpommern“schwer?

Nawrat: Wenn ich das alles zusammenne­hme, dann ist es weniger die Dauer, sondern die Intensität dieser Zeit und die Verantwort­ung für die Menschen, welche mir diesen Abschied letztendli­ch sehr schwer wahrnehmen lassen. Wir hatten viele gemeinsame Erlebnisse, wie die langen Abwesenhei­ten in Litauen oder im März dieses Jahres die Großübung „Allied Spirit 2024“.

Herr General Hammerstei­n, kennen Sie den Osten von Mecklenbur­g-Vorpommern beziehungs­weise die Garnisonss­tädte der Brigade im Nordosten schon?

Hammerstei­n: Ich bin am Samstag aus dem Kosovo wiedergeko­mmen und am Sonntag gleich nach Neubranden­burg gefahren. Ich komme aus dem Rheinland, kenne viele Regionen Deutschlan­ds und war auch schon in Mecklenbur­g-Vorpommern im Urlaub, aber noch nicht in Neubranden­burg. Ich finde Stadt und Landschaft sehr schön. Insofern bin ich gespannt und freue mich drauf.

Die Kommandoüb­ergabe fand bei einem öffentlich­en Appell auf dem Neubranden­burger Marktplatz statt. Ist das andernorts auch so üblich?

Hammerstei­n: Ich finde, das ist eine gute Entscheidu­ng, die General Nawrat gemeinsam mit Oberbürger­meister Silvio Witt getroffen hat. Das ist das richtige Zeichen und der richtige Rahmen.

Nawrat: Man muss deutlich sagen, dass die Angehörige­n der Bundeswehr – als Staatsbürg­er in Uniform – Verantwort­ung für die Gesellscha­ft übernehmen. Ob das jetzt ein Gelöbnis ist oder ein Appell zur Kommandoüb­ergabe, so muss es aus meiner Sicht gelebte Normalität sein, dass das im Herzen der Bevölkerun­g stattzufin­den hat, für die wir letztendli­ch stehen.

Herr Nawrat, Sie haben in einem Gespräch mal erzählt, dass Sie bei einer Reise in Uniform als Zeichen des Danks spontan zum Kaffee eingeladen wurden. Erfährt die Truppe für ihr Engagement im In- und Ausland inzwischen mehr Anerkennun­g?

Nawrat: In den USA, wo ich dienstlich viele Jahre verbracht habe, ist dieses „Danke für Ihren Dienst“öffentlich deutlich mehr ausgeprägt. Und deswegen war ich damals am Frankfurte­r Flughafen so überrascht von dieser spontanen Reaktion eines Menschen, der vor mir in der Schlange stand. Ich fand das einfach toll und würde mir für meine Soldatinne­n und Soldaten mehr dieser Gesten wünschen.

Was waren denn die Herausford­erungen Ihrer Dienstzeit hier in Neubranden­burg für Ihre Soldatinne­n und Soldaten sowie für Sie persönlich?

Nawrat: Die erste Hälfte meiner Zeit war von der Amtshilfe gegen die Corona-Pandemie geprägt, die uns als Brigade insgesamt mit über 1,7 Millionen „Mann-Stunden“sehr intensiv gebunden hat. Aus dieser Situation herauskomm­end, sind wir seit Februar 2022, durch diesen unsägliche­n Angriffskr­ieg Russlands gegenüber der Ukraine, wieder mehr in unserer organische­n Rolle als Streitkräf­te gefordert.

Auf der einen Seite verlangen wir dabei viel von den Soldatinne­n und Soldaten ab, muten gleichzeit­ig aber auch den Familien unheimlich viel zu, weil diese Abwesenhei­ten von zu Hause, wie für die enhanced Vigilance Activity (eVA) Brigade in Litauen, doch sehr kurzfristi­g erfolgten. Die Einsätze an der NatoOstf lanke haben einen sehr ernsten Hintergrun­d, der möglicherw­eise auch in einem Konf likt mit Russland endet, und das macht was mit den Menschen und deren Familien, das muss man erklären. Und dieses ständige Erklären war auch die größte Herausford­erung in meiner Zeit als Kommandeur der Brigade.

Herr Hammerstei­n: Welche Herausford­erungen liegen vor der Brigade?

Hammerstei­n: Die ganze Bundeswehr ist im Umbau, wir werden das Heer zukunftsfä­hig machen. Also Stichworte wie Kriegstüch­tigkeit und Kaltstartf­ähigkeit. Das wird sich alles in den Strukturen und Fähigkeite­n niederschl­agen. Die Brigade kann hier bereits auf viel Erfahrung zurückgrei­fen. In Zukunft wird darauf aufzubauen sein, um gemeinsam mit der neuen Struktur und den Fähigkeite­n, die wir brauchen, eben diese Kriegstüch­tigkeit zu erlangen. Und das ist gut für die Brigade.

Herr Nawrat: Sie hatten jüngst vom Ende der europäisch­en Sicherheit­sarchitekt­ur durch den russischen Angriff auf die Ukraine gesprochen. Können sie das näher erläutern?

Nawrat: Es ist für mich ein Ende der europäisch­en Sicherheit­sarchitekt­ur, weil wir nach dem russischen Angriff vom 24. Februar 2022 von einem Gegner ausgehen, der gewillt ist, internatio­nal anerkannte Grenzen zu überschrei­ten, zu verschiebe­n und sich nationales Territoriu­m anderer Länder einzuverle­iben. Das ist für mich nicht akzeptabel und zwingt uns aus meiner Sicht dazu, weiterhin das Nato-Verteidigu­ngsbündnis zu stärken. Dazu haben wir als Bundeswehr und als Panzergren­adierbriga­de 41 „Vorpommern“einen wesentlich­en Beitrag geleistet, etwa durch unsere Übungen in Litauen. Wir sind auch gut beraten, uns weiterhin Themen wie Kriegstüch­tigkeit und Kaltstartf­ähigkeit zu widmen, denn ich möchte gerne, dass dieses Land im nächsten Jahr nicht „nur“acht Jahrzehnte Frieden seit 1945 feiert, sondern auch noch weitere acht Jahrzehnte Frieden erlebt.

Hammerstei­n: Auch für uns als Nato gilt: Abschrecku­ng bedarf der Glaubwürdi­gkeit und Glaubwürdi­gkeit kommt nur dadurch, indem man die Mittel und Fähigkeite­n auch einsetzt. Deshalb ist unser Engagement als Bündnis, vor allem im Osten des Nato-Raumes, so wichtig: Seien es die verschiede­nen Missionen wie z. B. eFP oder eVA, aber auch vor allem die entstehend­e Panzerbrig­ade 45, welche dauerhaft in Litauen stationier­t werden wird.

Beispielsw­eise beim Ostermarsc­h des Neubranden­burger Friedensbü­ndnisses wurde die Nato als Aggressor in dem Konflikt bezeichnet. Was antworten Sie darauf?

Nawrat: Erstens finde ich es gut, dass wir in einer Demokratie auch unterschie­dliche Meinungen zulassen müssen. Das unterschei­det uns wesentlich von dem, was in Russland zurzeit stattfinde­t. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich in einem Land lebe, in dem diese Art der Meinungsfr­eiheit herrscht und jeder seine Ansicht im Rahmen von anerkannte­n gesetzlich­en Grenzen auch entspreche­nd äußern darf. Und so würde ich diesem Narrativ entgegnen, dass ich möglicherw­eise eine andere Sichtweise dazu habe. Ich habe in fast 35 Jahren Berufserfa­hrung die Nato als Verteidigu­ngsbündnis erlebt, das sich in seiner Ausrichtun­g und Konzeption alleine darauf vorbereite­t, einem möglichen Angriff von außen so zu entgegnen, dass die Grenzen des Nato-Territoriu­ms und damit unserer Bündnispar­tner gewahrt bleiben.

Hammerstei­n: Ich glaube nicht, dass wir ernsthaft dem ukrainisch­en Volk das Recht auf Selbstbest­immung absprechen möchten. Und auch geografisc­h gesehen haben wir ein hohes deutsches Interesse daran, dass Grenzen durch diese Art der russischen Aggression nicht verschoben werden. Denn wo hört das auf ?

Was steht als Erstes nach der Übernahme des Kommandos über die Brigade an?

Hammerstei­n: Ich werde mir ein Bild von den einzelnen Verbänden verschaffe­n. Das heißt, in den nächsten Wochen werde ich durch den großen Raum der Brigade fahren, um mit den Kommandeur­en und deren Soldaten zu sprechen.

Herr Nawrat, im Prinzip tauschen Sie mit General Hammerstei­n die Stühle, welche Aufgabe erwartet Sie?

Nawrat: Ich freue mich auf die Aufgabe im Kosovo im sogenannte­n NALT, dem Nato Advisory and Liaison Team. Ziel ist es, die Institutio­n des kosovarisc­hen Verteilung­sministeri­ums, aber auch der sogenannte­n Kosovo Security Force, durch unsere Arbeit als multinatio­nales Team näher an die EU und die NATO heranzubri­ngen. Und ich bin sicher, dass das eine Aufgabe sein wird, die mich mit allem fordern wird.

Hammerstei­n: Wir stehen schon seit Monaten in enger Verbindung. Seien es Tipps für den Kosovo oder für Neubranden­burg.

Herr Nawrat, was ist denn Ihr Geheimtipp für den Nordosten?

Nawrat: Ich glaube, das Geheimnis ist, mit einem offenen Herzen auf die Menschen hier zuzugehen. Natürlich steht zunächst erstmal der dienstlich­e Auftrag im Vordergrun­d, aber auf der anderen Seite sich hier mit offenem Herzen den Menschen zu nähern und damit die Gelegenhei­t zu geben, in diese Gesellscha­ft einzutauch­en. Das eröffnet einem einfach die Möglichkei­t, nah an die Menschen, also die DNA eines jeden Verbandes oder Großverban­des heranzukom­men und diese zu verstehen.

Hammerstei­n: Dem kann ich mich nur anschließe­n, die Menschen machen diese Brigade aus. Deshalb ist auch jede Brigade des deutschen Heeres unterschie­dlich im Charakter. Darauf will ich erstmal achten, und dass auch besser verstehen, bevor ich meine Pläne für die nähere Zukunft ausgebe. Das wird noch einige Wochen dauern. Aber ich freue mich auf die Menschen und weiß, man kann mit dieser Brigade viel machen. Sie hat auch schon einiges bewiesen und dadurch einen wirklich guten Ruf.

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FOTO: LISA ENGLER/BUNDESWEHR Seit 2017 führt die Bundeswehr eine multinatio­nale Nato-Einheit auf dem Militärstü­tzpunkt Rukla (Litauen). Im Einsatz war auch bereits die Panzergren­adierbriga­de 41.
 ?? FOTO: MINA KACZMAREK ?? Brigadegen­eral Ralf Peter Hammerstei­n (rechts) übernimmt die Panzergren­adierbriga­de 41 „Vorpommern“von Brigadegen­eral Christian Nawrat.
FOTO: MINA KACZMAREK Brigadegen­eral Ralf Peter Hammerstei­n (rechts) übernimmt die Panzergren­adierbriga­de 41 „Vorpommern“von Brigadegen­eral Christian Nawrat.

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