Intrigen, Vorwürfe und ein verlorener Sohn
Der Ulmer Milliardär Erwin Müller adoptierte drei Jagdfreunde aus dem Allgäu. Nun wird vor Gericht um das künftige Erbe gestritten. Die über fünfstündige Sitzung vor dem Ulmer Landgericht ließ tief in die Müller-Welt blicken.
Ulm Wenn die gerichtliche Auseinandersetzung von drei Allgäuer Adoptivkindern gegen den Milliardär und Chef des Drogerieimperiums, Erwin Müller, ein Film wäre, würden Kritiker die Handlung wohl als zu konstruiert bezeichnen. Doch was am Montag in satten fünf Stunden aufgeführt wurde, war die Realität. Und die ist seltsamer als in vielen Filmen.
Der Hauptdarsteller, der 91-jährige Erwin Müller, ließ sich im fast voll besetzten Gerichtssaal von seiner fast 30 Jahre jüngeren Frau Anita vertreten. Die schaute mit strenger, von sehr viel Haarspray gehaltener Frisur und einem weißen Kostüm ziemlich regungslos zu, wie die drei Adoptivkinder schwere Vorwürfe auspackten.
Der grobe Handlungsstrang: Ein Trio kämpft um ein Milliardenerbe. Zwei Brüder mittleren Alters aus dem Oberallgäu, Albin und Andreas J, sowie dessen Frau Steffi behaupteten, vom Milliardär schamlos ausgenutzt worden zu sein.
Erwin Müller adoptierte die drei im August 2015. Man hatte sich im Jahr zuvor auf der Jagd kennengelernt. Und wie Erwin Müllers Ehefrau in Abwesenheit ihres Gatten es beschrieb, passte die Idee in die Lebensphase des inzwischen 91-Jährigen. Denn der hatte sich damals mit seinem Sohn Reinhard überworfen und dieser seinen Vater mit Enkelentzug bestraft. „Das hat Erwin sehr traurig gemacht.“
Was Erwin Müller und die drei Adoptivkinder eint: die Liebe zur Jagd und zur Natur. „Wir hatten ein tiefes Vertrauen in unseren
Adoptivvater“, sagte Andreas J., der im Allgäu ein Fachgeschäft für Jäger betreibt. Die Rede war von „Euphorie im Herzen“, Grillabenden auf Berghütten und gemeinsamen Jagderlebnissen in den Alpen, Mallorca und Ungarn.
Kurz vor der Hochzeit von Andreas und Steffi – bei der Erwin Müller Trauzeuge war – damit bei ihr noch der Mädchenname Müller eingetragen werden könne, wurde dann bei „Kaffee und Kuchen in Ulm“die Urkunde unterzeichnet. Samt nach Mitternacht nachgereichter Pflichtteilverzichtserklärungen.
Alle drei bekannten, dass sie sich wohl nicht hätten adoptieren lassen und auf ein Erbe verzichtet hätten, wenn Erwin Müller nicht vorher vollmundige Versprechungen gemacht hätte. „Euch wird es nie wieder an etwas fehlen“, habe Erwin Müller immer wieder gesagt. „Das Verhältnis war innig“, sagt Andreas J.
Noch inniger wurde es offenbar, als Erwin Müller den drei zahlreiche Schenkungen in Aussicht gestellt haben soll. Steffi sollte ein leer stehendes Gasthaus im österreichischen Verwall führen, an dem der Ulmer Unternehmer auf dem Weg zur Steinbock-Jagd immer vorbeigekommen sei. Andreas J. sei ein neues Werkhaus versprochen worden, weil Erwin Müller der Zustand des Waffengeschäfts seines Adoptivsohnes schon lange missfallen habe. Und Albin sei eine Fischzucht im allgäuerischen Griestal in Aussicht gestellt worden. Auch wenn er die nach eigenem Bekunden gar nicht haben wollte.
Damit nicht genug: Auch mit dem Müller-Schießzentrum in
Ulm – angeblich Europas größtes und modernstes Indoor-Schießzentrum – seien Andreas und Steffi gelockt worden. Und falls es nicht gelinge, den leiblichen Sohn von Erwin Müller, der das 26-Millionen-Euro-Zentrum betreibt, abzulösen, habe Müller „ein noch größeres, noch schöneres“für seine geliebten Adoptivkinder versprochen.
Müller habe „Euphorie wie ein Feuerwerk“verbreitet. Auch die Entwicklung eines neuen Jagdgewehrs von Büchsenmacher Andreas habe er zugesagt zu finanzieren. Und weil Erwin Müller mit seinen Adoptivkindern so gerne auf Mufflon-Jagd in Ungarn ging, beschloss der Milliardär Müller, auf Mallorca eine eigene „„Muffel-Finca“in seinem geliebten Feriendomizil Mallorca zu gründen. Auch die sollten Steffi, Andreas und Albin erhalten. Kostenlos Urlaub sollten die drei hier machen dürfen. Doch hier fingen offenbar die Probleme an: Albin fühlte sich von Erwin Müllers Ehefrau Anita „massiv gemobbt“. Sie habe immer etwas am Zustand der mallorquinischen Ferienwohnung nach der Abreise zu bemängeln gehabt.
Das alles bahnte sich schon vor der am 19. August 2015 rechtskräftig gewordenen Adoption an. Albin J. sprach von „neun Jahren Vorlauf.“Und weil im Adoptionsrecht Schenkungen als Bestechung gewertet werden können, habe Erwin Müller immer darum gebeten, nicht über diese Dinge zu reden. Für den Kauf des leer stehenden Gasthauses im Verwall und das Waffen-Werkhaus habe er deswegen über seine Firma Darlehen zum Kauf gewährt. Angeblich mit der Zusage, das nach der Adoption zur Schenkung werden zu lassen. Steffi J. „Alles leere Versprechungen.“Wie der Müller-Anwalt Anton Steiner ausrechnete, hätten diese Schenkungen einen Wert von 50 bis 70 Millionen Euro gehabt.
Aus Sicht von Andreas J. „ein Klacks“, selbst wenn Müller, ein „Ehrenmann“, der aber keinen Widerspruch dulde, noch Schenkungssteuer hätte bezahlen müssen. Schließlich hätten die drei Erwin Müller geholfen, seine Firma zu retten. Die Rede war von 700 Millionen Euro bis einer Milliarde, die sich Erwin Müller durch die Adoption gespart habe.
Dem Drogerieimperium sei es zur Zeit der Adoption nicht gut gegangen. Der Verzicht sei „zum Schutz seiner Firma erfolgt“. Denn Müller habe befürchte, dass sein leiblicher Sohn Reinhard, Jahrgang 1959, eines Tages Mehrheitseigner werden könne. Adoptiert worden sei demnach nur, um die Pflichtteilsansprüche des leiblichen Sohnes zu verringern.
„Uns bei Laune zu halten, war seine Taktik“, sagt Steffi J. über ihren Adoptivvater. Dieses Bei-Laune-Halten währte aber offenbar nur drei Jahre, bis eine gesetzliche Frist, was die Adoption angeht, ausgelaufen war. Dann hätten die drei nichts mehr von Müller gehört. „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Der Mohr kann gehen“, kommentierte die Adoptivtochter. Und zur Feier zu Müllers 90. Geburtstag saßen sie nicht am Tisch des Geburtstagskinds. Einzig
schriftlich vereinbarte Zahlungen am oberen Limit der Steuerfreiheit an alle drei zeugen offenbar noch von früherer Nähe: jeweils 400.000 Euro, der Schenkungshöchstbetrag, alle zehn Jahre.
Anita Müller konterte die Anschuldigungen kühl, souverän und mit fester Stimme. Sie selbst habe einen Verzicht auf den ihr zustehenden Anteil am Milliardenerbe ihres Mannes unterzeichnet. „Wer meinen Mann kennt, der weiß, dass er das nicht ohne macht.“Diesen Verzicht als sittenwidrig zu bezeichnen, sei völlig abstrus. Die Adoption sei aber „nicht nur auf finanziellen Beinen gestanden“. Es sei „auch eine Herzensangelegenheit“gewesen. Die angeblich versprochenen Schenkungen verwies Anita Müller ins Reich der Fabeln. Es sei diskutiert worden, dass ihr Mann seinen leiblichen Sohn zurück in die Firma holen wollte. Dann hätte das adoptierte Ehepaar die Leitung des Schießzentrums als bezahlte Geschäftsführung übernehmen können. „Doch der will das nicht abgeben.“
Nur die „Muffel-Farm“, die habe ihr Mann wohl tatsächlich dem Trio vererben wollen. Nun wird das dazu wohl nicht mehr kommen. Richterin Johanna Warmuth empfahl den Streithähnen, die Adoption zu hinterfragen. Wenn überhaupt, ließe sich die Adoption juristisch hinterfragen, nicht aber der Verzicht auf den Pflichtteil. Die geforderte Feststellung der Nichtigkeit“des Verzichts habe „geringe Aussicht auf Erfolg“. Wenn es nicht vorher doch noch einen außergerichtlichen Vergleich gibt, wird ein Urteil wohl am 29. Juli verkündet. (Foto: Kaiser, dpa)