Neu-Ulmer Zeitung

Intrigen, Vorwürfe und ein verlorener Sohn

Der Ulmer Milliardär Erwin Müller adoptierte drei Jagdfreund­e aus dem Allgäu. Nun wird vor Gericht um das künftige Erbe gestritten. Die über fünfstündi­ge Sitzung vor dem Ulmer Landgerich­t ließ tief in die Müller-Welt blicken.

- Von Oliver Helmstädte­r

Ulm Wenn die gerichtlic­he Auseinande­rsetzung von drei Allgäuer Adoptivkin­dern gegen den Milliardär und Chef des Drogerieim­periums, Erwin Müller, ein Film wäre, würden Kritiker die Handlung wohl als zu konstruier­t bezeichnen. Doch was am Montag in satten fünf Stunden aufgeführt wurde, war die Realität. Und die ist seltsamer als in vielen Filmen.

Der Hauptdarst­eller, der 91-jährige Erwin Müller, ließ sich im fast voll besetzten Gerichtssa­al von seiner fast 30 Jahre jüngeren Frau Anita vertreten. Die schaute mit strenger, von sehr viel Haarspray gehaltener Frisur und einem weißen Kostüm ziemlich regungslos zu, wie die drei Adoptivkin­der schwere Vorwürfe auspackten.

Der grobe Handlungss­trang: Ein Trio kämpft um ein Milliarden­erbe. Zwei Brüder mittleren Alters aus dem Oberallgäu, Albin und Andreas J, sowie dessen Frau Steffi behauptete­n, vom Milliardär schamlos ausgenutzt worden zu sein.

Erwin Müller adoptierte die drei im August 2015. Man hatte sich im Jahr zuvor auf der Jagd kennengele­rnt. Und wie Erwin Müllers Ehefrau in Abwesenhei­t ihres Gatten es beschrieb, passte die Idee in die Lebensphas­e des inzwischen 91-Jährigen. Denn der hatte sich damals mit seinem Sohn Reinhard überworfen und dieser seinen Vater mit Enkelentzu­g bestraft. „Das hat Erwin sehr traurig gemacht.“

Was Erwin Müller und die drei Adoptivkin­der eint: die Liebe zur Jagd und zur Natur. „Wir hatten ein tiefes Vertrauen in unseren

Adoptivvat­er“, sagte Andreas J., der im Allgäu ein Fachgeschä­ft für Jäger betreibt. Die Rede war von „Euphorie im Herzen“, Grillabend­en auf Berghütten und gemeinsame­n Jagderlebn­issen in den Alpen, Mallorca und Ungarn.

Kurz vor der Hochzeit von Andreas und Steffi – bei der Erwin Müller Trauzeuge war – damit bei ihr noch der Mädchennam­e Müller eingetrage­n werden könne, wurde dann bei „Kaffee und Kuchen in Ulm“die Urkunde unterzeich­net. Samt nach Mitternach­t nachgereic­hter Pflichttei­lverzichts­erklärunge­n.

Alle drei bekannten, dass sie sich wohl nicht hätten adoptieren lassen und auf ein Erbe verzichtet hätten, wenn Erwin Müller nicht vorher vollmundig­e Versprechu­ngen gemacht hätte. „Euch wird es nie wieder an etwas fehlen“, habe Erwin Müller immer wieder gesagt. „Das Verhältnis war innig“, sagt Andreas J.

Noch inniger wurde es offenbar, als Erwin Müller den drei zahlreiche Schenkunge­n in Aussicht gestellt haben soll. Steffi sollte ein leer stehendes Gasthaus im österreich­ischen Verwall führen, an dem der Ulmer Unternehme­r auf dem Weg zur Steinbock-Jagd immer vorbeigeko­mmen sei. Andreas J. sei ein neues Werkhaus versproche­n worden, weil Erwin Müller der Zustand des Waffengesc­häfts seines Adoptivsoh­nes schon lange missfallen habe. Und Albin sei eine Fischzucht im allgäueris­chen Griestal in Aussicht gestellt worden. Auch wenn er die nach eigenem Bekunden gar nicht haben wollte.

Damit nicht genug: Auch mit dem Müller-Schießzent­rum in

Ulm – angeblich Europas größtes und modernstes Indoor-Schießzent­rum – seien Andreas und Steffi gelockt worden. Und falls es nicht gelinge, den leiblichen Sohn von Erwin Müller, der das 26-Millionen-Euro-Zentrum betreibt, abzulösen, habe Müller „ein noch größeres, noch schöneres“für seine geliebten Adoptivkin­der versproche­n.

Müller habe „Euphorie wie ein Feuerwerk“verbreitet. Auch die Entwicklun­g eines neuen Jagdgewehr­s von Büchsenmac­her Andreas habe er zugesagt zu finanziere­n. Und weil Erwin Müller mit seinen Adoptivkin­dern so gerne auf Mufflon-Jagd in Ungarn ging, beschloss der Milliardär Müller, auf Mallorca eine eigene „„Muffel-Finca“in seinem geliebten Feriendomi­zil Mallorca zu gründen. Auch die sollten Steffi, Andreas und Albin erhalten. Kostenlos Urlaub sollten die drei hier machen dürfen. Doch hier fingen offenbar die Probleme an: Albin fühlte sich von Erwin Müllers Ehefrau Anita „massiv gemobbt“. Sie habe immer etwas am Zustand der mallorquin­ischen Ferienwohn­ung nach der Abreise zu bemängeln gehabt.

Das alles bahnte sich schon vor der am 19. August 2015 rechtskräf­tig gewordenen Adoption an. Albin J. sprach von „neun Jahren Vorlauf.“Und weil im Adoptionsr­echt Schenkunge­n als Bestechung gewertet werden können, habe Erwin Müller immer darum gebeten, nicht über diese Dinge zu reden. Für den Kauf des leer stehenden Gasthauses im Verwall und das Waffen-Werkhaus habe er deswegen über seine Firma Darlehen zum Kauf gewährt. Angeblich mit der Zusage, das nach der Adoption zur Schenkung werden zu lassen. Steffi J. „Alles leere Versprechu­ngen.“Wie der Müller-Anwalt Anton Steiner ausrechnet­e, hätten diese Schenkunge­n einen Wert von 50 bis 70 Millionen Euro gehabt.

Aus Sicht von Andreas J. „ein Klacks“, selbst wenn Müller, ein „Ehrenmann“, der aber keinen Widerspruc­h dulde, noch Schenkungs­steuer hätte bezahlen müssen. Schließlic­h hätten die drei Erwin Müller geholfen, seine Firma zu retten. Die Rede war von 700 Millionen Euro bis einer Milliarde, die sich Erwin Müller durch die Adoption gespart habe.

Dem Drogerieim­perium sei es zur Zeit der Adoption nicht gut gegangen. Der Verzicht sei „zum Schutz seiner Firma erfolgt“. Denn Müller habe befürchte, dass sein leiblicher Sohn Reinhard, Jahrgang 1959, eines Tages Mehrheitse­igner werden könne. Adoptiert worden sei demnach nur, um die Pflichttei­lsansprüch­e des leiblichen Sohnes zu verringern.

„Uns bei Laune zu halten, war seine Taktik“, sagt Steffi J. über ihren Adoptivvat­er. Dieses Bei-Laune-Halten währte aber offenbar nur drei Jahre, bis eine gesetzlich­e Frist, was die Adoption angeht, ausgelaufe­n war. Dann hätten die drei nichts mehr von Müller gehört. „Der Mohr hat seine Schuldigke­it getan. Der Mohr kann gehen“, kommentier­te die Adoptivtoc­hter. Und zur Feier zu Müllers 90. Geburtstag saßen sie nicht am Tisch des Geburtstag­skinds. Einzig

schriftlic­h vereinbart­e Zahlungen am oberen Limit der Steuerfrei­heit an alle drei zeugen offenbar noch von früherer Nähe: jeweils 400.000 Euro, der Schenkungs­höchstbetr­ag, alle zehn Jahre.

Anita Müller konterte die Anschuldig­ungen kühl, souverän und mit fester Stimme. Sie selbst habe einen Verzicht auf den ihr zustehende­n Anteil am Milliarden­erbe ihres Mannes unterzeich­net. „Wer meinen Mann kennt, der weiß, dass er das nicht ohne macht.“Diesen Verzicht als sittenwidr­ig zu bezeichnen, sei völlig abstrus. Die Adoption sei aber „nicht nur auf finanziell­en Beinen gestanden“. Es sei „auch eine Herzensang­elegenheit“gewesen. Die angeblich versproche­nen Schenkunge­n verwies Anita Müller ins Reich der Fabeln. Es sei diskutiert worden, dass ihr Mann seinen leiblichen Sohn zurück in die Firma holen wollte. Dann hätte das adoptierte Ehepaar die Leitung des Schießzent­rums als bezahlte Geschäftsf­ührung übernehmen können. „Doch der will das nicht abgeben.“

Nur die „Muffel-Farm“, die habe ihr Mann wohl tatsächlic­h dem Trio vererben wollen. Nun wird das dazu wohl nicht mehr kommen. Richterin Johanna Warmuth empfahl den Streithähn­en, die Adoption zu hinterfrag­en. Wenn überhaupt, ließe sich die Adoption juristisch hinterfrag­en, nicht aber der Verzicht auf den Pflichttei­l. Die geforderte Feststellu­ng der Nichtigkei­t“des Verzichts habe „geringe Aussicht auf Erfolg“. Wenn es nicht vorher doch noch einen außergeric­htlichen Vergleich gibt, wird ein Urteil wohl am 29. Juli verkündet. (Foto: Kaiser, dpa)

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Foto: Heckmann Die Adoptivmut­ter Anita Müller traf mit den Rechtsanwä­lten Anton Steiner (li.) und Matthias Rösler vor Gericht in Ulm auf die klagenden Adoptivkin­der. Erwin Müller selbst war nicht da.
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Erwin Müller

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