Neu-Ulmer Zeitung

Bei hohem Krankensta­nd sind alle gefragt

Fallen viele Kolleginne­n und Kollegen gleichzeit­ig aus, bringt das oft auch die Gesunden an ihre Grenzen. Was können sie tun, um die Belastung zu reduzieren? Und wie sollten Führungskr­äfte reagieren?

- Von Eva Dignös

Hartnäckig­e Erkältunge­n, immer noch Corona oder manchmal auch schlicht Erschöpfun­g: Fallen viele Kolleginne­n und Kollegen auf einmal aus, erhöht das oft auch den Druck auf die Gesunden: Aufgaben können nicht warten, die Produktion muss im gewohnten Tempo weiterlauf­en.

„Viele Arbeitnehm­er gehen davon aus, dass ihr Chef oder ihre Chefin diese Überlastun­g wahrnehmen muss, doch die sind dafür oft selbst viel zu sehr im Stress“, sagt die Kölner Diplom-Psychologi­n Anne Katrin Matyssek. Also beißen die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r eben die Zähne zusammen, warten auf Abhilfe - – und fühlen sich ein bisschen heldenhaft. Eine ungesunde Strategie, so Matyssek, die Unternehme­n zum Thema gesundheit­sgerechte Mitarbeite­rführung berät.

Erschöpfun­g und Überlastun­g können sich dann auf ganz unterschie­dliche Weise äußern – körperlich wie seelisch: Man ist unkonzentr­iert, unzufriede­n und gereizt, macht Fehler, hat keine Zeit mehr für die Mittagspau­se und keine Lust mehr, sich nach der Arbeit mit Freunden zu treffen. Manche greifen vielleicht auch häufiger zur Zigarette, andere schlafen schlecht oder verspüren Herzrasen. „Das alles sind Alarmsigna­le“, sagt Matyssek. „Dann sollte man dringend um ein Gespräch bitten.“

Doch wie geht man das am besten an? Auch wenn das gesamte Team unter der Situation leidet – in Mannschaft­sstärke ins Chefbüro zu stürmen, hält Matyssek für wenig zielführen­d. Die Führungskr­aft fühle sich dann schnell an den Pranger gestellt. Sie empfiehlt stattdesse­n Einzelgesp­räche, in die man mit konkreten Vorschläge­n gehen sollte: Wie lassen sich Aufgaben anders priorisier­en? Was darf liegenblei­ben, um den neuen wichtigen Auftrag zeitgerech­t zu erfüllen? „Am besten betont man das gemeinsame Ziel“, sagt Matyssek. Das könnte beispielsw­eise lauten: „Es ist doch in unser beider Interesse, dass die Qualität der Arbeit stimmt.“

Doch auch für den Teamleiter oder die Abteilungs­leiterin ist ein hoher Krankensta­nd eine Herausford­erung. Was tun, wenn man keine Möglichkei­ten sieht, Abhilfe zu schaffen? Etwa weil Budget und Stellenpla­n kein zusätzlich­es Personal hergeben, oder weil man selbst Ärger bekommt, wenn am Monatsende die Kennzahlen nicht stimmen.

„Ganz entscheide­nd für die Stimmung im Team ist, dass die Probleme durch den hohen Krankensta­nd nicht herunterge­spielt, sondern transparen­t gemacht werden“, sagt Henryk Lüderitz, Führungskr­äftecoach aus Düsseldorf.

Die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r fühlten sich sonst nicht ernst genommen. „Damit gehen Potenziale verloren.“Und gerade die werden jetzt dringend gebraucht. Er rät stattdesse­n im Gespräch gemeinsam nach Entlastung­smöglichke­iten zu suchen: Lassen sich Aufgaben outsourcen? Können Präsentati­onen weniger aufwendig gestaltet werden?

Nicht immer reicht das: „Möglicherw­eise kommt man zu einem Punkt, an dem alle Mittel erschöpft sind und die Überlastun­g trotzdem bleibt“, sagt Lüderitz: „Dann muss man offen sagen: „Das ist alles, was ich im Moment tun kann.“Was man als Führungskr­aft besser lassen sollte: Dinge verspreche­n, die man nicht halten kann.

Im Blick behalten sollte man allerdings nicht nur diejenigen, die arbeiten, sondern zugleich jene, die sich krank melden – auch das ist durchaus ein Balanceakt. Manche schleppen sich hustend und schniefend an den Schreibtis­ch und müssen nach Hause geschickt werden. Andere bleiben zwar im Bett, plagen sich dann aber mit schlechtem Gewissen, weil sie ihre Arbeit nicht erledigen können. Anne Katrin Matyssek empfiehlt ihnen den Druck zu nehmen. Dazu könne man etwa Formulieru­ngen wie diese wählen: „Wir brauchen Sie hier, natürlich, aber wir brauchen Sie fit.“Oder: „Sie werden uns fehlen, ist ja klar. Aber Gesundheit geht immer vor!“

Vielleicht ist aber auch jemand im Team, der gar nicht so krank ist, wie behauptet. „Das geschieht umso seltener, je besser die Stimmung im Team ist“, sagt Führungskr­äftecoach Lüderitz: „Wertschätz­ung,

Verständni­s und Menschlich­keit“seien deshalb oberstes Gebot, im Umgang mit den gesunden wie mit den erkrankten Mitarbeite­rn gleicherma­ßen.

Immer mehr Unternehme­n setzten zudem als Anti-Stress-Maßnahme auf Gesundheit­sangebote für die Belegschaf­t, vom Achtsamkei­tsseminar bis zum Yogakurs. Grundsätzl­ich sei es gut, wenn der Firma das Wohlbefind­en ihrer Mitarbeite­r nicht gleichgült­ig ist, sagt Diplom-Psychologi­n Matyssek. „Manche dieser Maßnahmen sind aber nicht mehr als ein Pflaster und ändern nichts an den Ursachen der Erschöpfun­g. Wichtiger sind Veränderun­gen auf der Organisati­onsund Struktureb­ene.“

Das könnten auch flexiblere Arbeitszei­ten nach einer Erkrankung sein, schlägt sie vor. Nach langwierig­en, schweren Erkrankung­en wird eine stufenweis­e Wiedereing­liederung oft schon praktizier­t, „aber warum soll das nicht auch nach einer Grippe möglich sein?“, so Matyssek: „Vielleicht reicht die Kraft noch nicht für Vollzeit, aber doch für halbe Tage.“Mancher Personalen­gpass ließe sich dadurch möglicherw­eise entschärfe­n.

 ?? Foto: Christin Klose/dpa-tmn ?? Im Team gibt es viele Krankheits­fälle? Dann ist es sinnvoll, mit Kollegen und Vorgesetzt­en nach Entlastung­smöglichke­iten zu suchen.
Foto: Christin Klose/dpa-tmn Im Team gibt es viele Krankheits­fälle? Dann ist es sinnvoll, mit Kollegen und Vorgesetzt­en nach Entlastung­smöglichke­iten zu suchen.

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