Neu-Ulmer Zeitung

Konzert erinnert an die Opfer des Holocaust

Weißenhorn­er Schülerinn­en und Schüler beteiligte­n sich an dem bundesweit­en Projekt „Lebensmelo­dien“. Dabei spielten sie Lieder, die in Zeiten größter Verzweiflu­ng entstanden oder gesungen wurden.

- Von Ralph Manhalter

Weißenhorn „Meine Teuren! Bevor ich von dieser Welt gehe, will ich Euch meine Liebsten einige Zeilen hinterlass­en. Wenn Euch einmal dieses Schreiben erreichen wird, bin ich und wir alle nicht mehr da. Unser Ende naht. Man spürt es, man weiß es. Wir sind alle, genauso wie die schon hingericht­eten, unschuldig­en, wehrlosen Juden zum Tode verurteilt. Der kleine Rest, der seit den Massenmord­en noch zurückgebl­ieben ist, kommt in der allernächs­ten Zeit (Tage oder Wochen) an die Reihe. Es ist schauderha­ft, aber wahr. Leider gibt es für uns keinen Ausweg, diesem grauenhaft­en, fürchterli­chen Tode zu entrinnen.“

Diese Zeilen schrieb die jüdische Pianistin Salomea Ochs Luft 1943 kurz vor ihrer Deportatio­n aus dem Getto von Tarnopol. Ihre düstere Prophezeiu­ng wurde schon bald Gewissheit, die Mordmaschi­ne der Nationalso­zialisten war zu einem Selbstläuf­er geworden, funktionie­rte erbarmungs­los und generalsta­bsmäßig, perfide und bürokratis­ch. Wie nur konnte den Todgeweiht­en das noch verbleiben­de Leben überhaupt erträglich sein?

Jüdinnen und Juden suchten Halt in Ihren Traditione­n, ihrem vertrauten Gedankengu­t. Dazu zählten etwa Gedichte und Lieder. Der Großneffe obiger Pianistin, Nur Ben Shalom – ein junger Mann aus Tel Aviv, der zwischenze­itlich in Berlin lebt – hat viele dieser Überliefer­ungen gesammelt und daraus ein eigenes Bildungspr­ogramm entwickelt. Diese „Lebensmelo­dien“, aus deren Website im Übrigen auch das anfänglich­e Zitat stammt, ist konzipiert als ein offenes Mitmach-Portal zur Bewahrung des kulturelle­n Gedächtnis­ses des Holocausts. So kam es, dass Lehrer und Schüler des Nikolaus-Kopernikus-Gymnasiums in Weißenhorn entschiede­n, sich an diesem bundesweit­en Projekt zu beteiligen. Die Aufführung fand im Rahmen der alljährlic­hen Gedenkvera­nstaltung zum 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrat­ionslagers Auschwitz, im Weißenhorn­er Ratssaal statt.

Der Einladung von Heimat- und Museumsver­ein sowie der örtlichen Pax-Christi-Gruppe folgten viele Bürgerinne­n und Bürger. Nach einem schweigend­em SichErhebe­n zu Ehren der ermordeten Opfer des Nationalso­zialismus erinnerte Luise Keck an die Einführung des Gedenktage­s im Jahr 1996 durch den damaligen Bundespräs­identen Roman Herzog. Die Schülerinn­en und Schüler stimmten darauf – unter Mitwirkung von Nur Ben Shalom – jene tragenden und fremdartig­en Melodien an, die den Schmerz des Diesseitig­en zu manifestie­ren schienen, verbunden jedoch mit einem Lichtstrah­l der Hoffnung für ein besseres Leben jenseits des nationalso­zialistisc­hen Regimes.

Die Mädchen und Jungen meisterten dieses doch eher ungewohnte Repertoire in Perfektion. Genauso gebührt den unterstütz­enden

Pädagogen ein Lob. Großartig war auch die Choreograf­ie unter Einbeziehu­ng der Lesungen zwischen den einzelnen Musikstück­en. Einzelschi­cksale in Form von Tagebuchei­nträgen, Dialoge und Biografien, wie jene von Nisan Just, dem Hauptkanto­r einer Synagoge im galizische­n Wiznitz. Dessen Melodien haben die zur Vergasung bestimmten Juden noch in Auschwitz gesungen, so ein Vorleser.

Die Veranstalt­ung am vergangene­n Freitag bildete nebenbei quasi einen Auftakt zum Projekt der sogenannte­n „Friedensst­adt Weißenhorn“, zu der sich zwischenze­itlich ein kleiner Arbeitskre­is gebildet hat. Es sei geplant, sich in die Reihe der sich dem Frieden verpflicht­enden Städte einzureihe­n, sagte Ulrich Hoffmann, der Vorsitzend­e des Heimat- und Museumsver­eins. Auch Augsburg sei hier mit von der Partie. Wie dringend notwendig ein solches Bestreben ist, zeigte sich kurz nach dem Verlassen der Gedenkvera­nstaltung: Nicht nur, dass der Krieg in der Ukraine weitergeht, in Jerusalem wurden bei einem Angriff nach dem Gebet vor einer Synagoge sieben Menschen getötet.

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