Kraft schöpfen für den Familienalltag: Wie Eltern-Kind-Kuren funktionieren
Viele Eltern leiden unter Erschöpfungszuständen. Erholung bieten Mutter- oder Vater-Kind-Kuren in spezialisierten Kliniken. Mit Attest tragen die Krankenkassen die Kosten.
Eberstadt Frische Luft weht über die weiten, grünen Wiesen und durch den Wald rund um die Kurklinik. Ein leichter Nebelschleier unterstreicht heute die Ruhe, die das große weiße Gebäude umgibt. Hier, am Gesundheitszentrum an der Höhle im baden-württembergischen Eberstadt, fühlt man sich sofort wohl. Eine große Glasscheibe ermöglicht von außen einen Blick in einen der Gruppenräume: Mehrere Erwachsene sitzen in einem Stuhlkreis beisammen. Sie alle verbringen hier ihre Mutteroder Vater-Kind-Kur.
Eltern sind im Alltag vielfältigen Belastungen ausgesetzt. Damit sich diese nicht langfristig auf ihre Gesundheit auswirken, kann ein Kuraufenthalt das Richtige sein. Mütter und Väter können in einer spezialisierten Klinik unterschiedliche medizinische Behandlungen bekommen, die sich aus ihren persönlichen und individuellen Situationen ergeben. Häufige Gründe für Überlastungen stellen Zeitdruck, beruflicher Stress, Schwierigkeiten bei der Vereinbarung von Kindern und Beruf oder bei der Erziehung dar. Eltern können unter Erschöpfungs- und Angstzuständen, Schlafstörungen oder körperlichen Auswirkungen wie Rückenschmerzen oder Migräne leiden.
Im Eingangsbereich der Klinik sitzt eine junge Mutter mit ihrer Tochter und es scheint, als warten sie auf jemanden. Das schwarzhaarige Mädchen spielt mit einem Plüschkätzchen auf dem Boden. Sie wirken gelassen, freundliche Pflegeschwestern gehen vorbei, sie grüßen. Durch die große Glasfront am Eingang strömt Tageslicht in das Gebäude und helle Grün- und Gelbtöne verzieren die Wände. Alles lädt zum Bleiben ein.
Personen, die Sorgearbeit leisten, sich also um jemand anderen kümmern, haben im Gegensatz zu Menschen, die beispielsweise keine Kinder haben, eine ganz besondere gesundheitliche Situation, so Yvonne Bovermann, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks, eine der größten deutschen gemeinnützigen Stiftungen für die Gesundheit von Eltern. Laut dem
Müttergenesungswerk sind in Deutschland 24 Prozent der Mütter und 14 Prozent der Väter kurbedürftig. Im Jahr 2021 nahmen insgesamt 42.000 Mütter und 2.200 Väter an einer Kur teil.
Die AOK Familienstudie 2022 zeigt, dass sich der Gesundheitszustand von Eltern um 12 Prozent im Vergleich zu vor der Pandemie verschlechtert hat. Fehlende Kinderbetreuung, häusliche Isolierung und Homeoffice haben zu zusätzlichen seelischen Belastungen der
Eltern geführt. Dabei ist es wichtig, dass sich Eltern nicht nur um die Gesundheit der Kinder sorgen. „Nur wer sich um sich selbst gut kümmert, kann sich auch um andere kümmern“, sagt Anja Kohles, Abteilungsleitung für den Bereich Gesundheit und Familie der AWO Ober- und Mittelfranken.
Am Ende eines langen Ganges sitzt Steffen Kreß in seinem Büro und erledigt die tägliche Arbeit. Auf seinem Schreibtisch liegen geordnet Dokumente: Unterlagen der Familien, um die individuellen Therapiepläne für die Kurzeit zu erstellen. Etwa 110 Familien wohnen pro Kurgang im Haus.. „Jeder oder jede kommt hier mit seinem Päckchen“, sagt der stellvertretende Geschäftsleiter der Klinik. Darum sei es so wichtig, den Fokus während der dreiwöchigen Kur auf einen bestimmten Behandlungsschwerpunkt, etwa die psychische Gesundheit oder Familie und Erziehung zu legen.
Der übliche Weg bis zu einem
Kuraufenthalt beginnt bei einer Beratungsstelle von kirchlichen Trägern oder Verbänden wie AWO, Rotes Kreuz oder Caritas. Diese Stellen unterstützen und begleiten den Elternteil auf dem Weg bis zu einem Klinikplatz. Die Mutter oder der Vater benötigt zunächst ein ärztliches Attest des Hausarztes oder der Hausärztin, welches dann bei der zuständigen Krankenkasse eingereicht wird. Da der Anspruch auf eine Vorsorgemaßnahme wie einer Kur für Eltern im Sozialgesetzbuch geregelt ist, übernehmen Krankenkassen bis auf einen kleinen Selbstbeteiligungsanteil die Kosten des Kuraufenthalts. „Wenn alle benötigten Dokumente richtig ausgefüllt sind, werden erstmalige Anträge so gut wie nie abgelehnt“, sagt Kurberaterin Anneliese Meier von der Caritas Augsburg.
Steffen Kreß blickt in seinen Terminkalender. Heute findet wieder eine der drei wöchentlichen Fallkonferenzen statt. Er bespricht hier mit seinem medizinischen und therapeutischen Team die Situation und Fortschritte der Eltern. „Die Kur ist kein Urlaub“, so Kreß. Es gehe darum, an den eigenen Themen und Problemen zu arbeiten, voranzukommen und vor allem auch über die Kur hinaus etwas zu bewirken.
Eine Kur ist ein kompletter Tapetenwechsel. Rahmenbedingungen wie Haushaltstätigkeiten, Arbeit oder andere tägliche Verpflichtungen fallen weg und Mütter oder Väter haben Zeit, um Veränderungen anzugehen und sich zu erholen. „Eltern sollen mit ihren Kindern Dinge machen können, die in schönen Situationen stattfinden, um sich gegenseitig auch mal wieder von einer anderen Seite kennenzulernen“, so Kreß. Dies stärke die Beziehung und spende neue Kraft. Kreß blickt aus dem Fenster. Das Besondere an dem ländlichen Standort der Klinik, im Gegensatz zu Kliniken in Kurorten oder an der See, sei der Platz und der Abstand vom ganzen Trubel, den die Eltern dringend brauchen.
> Dieser Text ist im Rahmen eines Kooperationsprojekts unserer Redaktion mit dem Master-Studiengang Fachjournalismus der TH WürzburgSchweinfurt entstanden.