Warum Berührungen gesund sind
Umarmungen und Streicheln wurden in der Corona-Pandemie seltener. Dabei sind sie nicht nur für die Psyche wichtig.
Man tut es, wenn man jemanden lange nicht gesehen hat. Wenn man jemanden trösten möchte. Oder wenn man am Krankenbett einfach nur zeigen will, dass man da ist. Ganz gleich, ob es eine herzliche Umarmung, ein Streicheln über den Arm oder das Halten einer Hand ist: Eine Berührung sagt mehr als tausend Worte.
Schon Kindern im Mutterleib gibt die Natur das mit auf den Weg: „Etwas, das meinen Körper berührt, zugleich warm und weich ist, ist gut für meinen Körper“, weiß Professor Martin Grunwald. Der Autor („Homo Hapticus“) und Psychologe ist Gründer des Haptik-Labors an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig und forscht seit Jahren, warum wir ohne Tastsinn nicht leben können. Die Wurzel liegt in der Evolutionsbiologie: Wachstums- und Reifeprozesse
sind laut Grunwald quasi direkt an den Berührungskontakt gebunden. Die Natur sichert damit, dass Menschen als „nesthockende Säugetiere“nur gedeihen können, wenn sie in einer sozialen Gemeinschaft leben. „Wir benötigen diese Berührungsreize ein Leben lang, in der frühesten Kindheit ist es richtig existenziell“, sagt der Experte. Er ist überzeugt: „Ganz gleichgültig, ob nun Säugling oder Erwachsener: Das Fehlen menschlicher Nähe hinterlässt tiefe seelische Furchen, die im Säuglingsalter sogar zum Tod führen können.“
Über keinen anderen Sinneskanal können Menschen untereinander so schnell und unmissverständlich positive emotionale Botschaften vermitteln. Das Spektrum reicht von Zuneigung, Verzeihen und Freude bis zu Anerkennung, Lob und Wertschätzung.
Schon kleinste Verformungen und minimale Wärmeveränderungen der Haut haben Auswirkungen auf unser Gehirn. Laut Grunwald haben selbst kleine Berührungsreize, die nur wenige Sekunden andauern, nachweislich einen Einfluss auf unsere psychischen Prozesse.
Dass es guttut, wenn uns jemand in den Arm nimmt oder mit uns kuschelt – und umgekehrt – ist dabei nicht nur ein Gefühl, sondern tatsächlich messbar. Wie etwa Oxytocin in Blut und Speichel. Das sogenannte „Bindungshormon“sorgt dafür, dass in der Nebennierenrinde weniger vom Stresshormon Cortisol ausgeschüttet wird. Der Herzschlag wird langsamer, der Blutdruck sinkt, die Muskulatur entspannt sich. „Es geht jedoch nicht nur um rein psychologische Effekte“, sagt der Biopsychologe Prof. Sebastian Ocklenburg, der sich auf die Erforschung von Umarmungen spezialisiert hat. Studien hätten gezeigt, dass solche Berührungen auch positive Effekte auf die Gesundheit hätten. „Menschen, die sich häufiger umarmen, haben auch ein geringeres Risiko, an Erkältungen zu erkranken.“Denn das Immunsystem sei stark von Stressfaktoren beeinflusst.
Und wie viel Berührung braucht ein Mensch? Das hängt sehr von der eigenen Persönlichkeit ab, ob man intro- oder extrovertiert ist, und vom individuellen Bedürfnis. Und auch von der Beziehung. „Je näher wir einem Menschen sind, umso stärker ist die biologische Reaktion auf die Berührungsreize“, sagt Grunwald. Umarmungsforscher Ocklenburg berichtet, dass etwas längere Umarmungen zu mehr Ausschüttung von Bindungshormonen führten. Wobei eine „durchschnittliche Umarmung“nur drei Sekunden dauere. „Zehn Sekunden sind schon lang!“Grunwald empfiehlt Paaren, „damit ihre Beziehung möglichst lange hält“, fünf Umarmungen am Tag. (Katja Sponholz, dpa)