Chronistin des Alltags
Die Autorin und Filmregisseurin Doris Dörrie hat immer ein Notizbuch dabei, sammelt Geschichten, macht daraus Stoffe für Bücher und Filme – wie nun ihr neuester: „Freibad“.
Zu den Körperteilen, über die eher wenig gesprochen und geschrieben wird, zählen die Kniekehlen. Was auch über Kniekehlen erzählen. Aber die wunderbare Erzählerin Doris Dörrie kann natürlich auch da eine kleine lustig-traurige Geschichte beisteuern. Sie hatte mal Sonnenbrand in den Kniekehlen, nachdem sie einen Tag lang im Freibad einen Jungen angeschmachtet hatte – auf dem Bauch liegend, weil in ihrem Kopf neben dem Jungen auch der schnell hingeworfene messerscharfe Satz umherschwirrte: „Du hast ja ’ne schöne Babywampe.“Doris Dörrie und ihre Kniekehlen waren da natürlich noch ganz jung.
Der Alltag, die kleinen Hiebe, das kleine Glück, das kleine Geschwätz, darunter versteckt die sich mal ausdehnende, dann wieder schrumpfende Sehnsucht. Seit 46 Jahren macht Dörrie, nun 67, Mutter einer erwachsenen Tochter, daraus Großes: Filme, Romane, Kinderbücher… Auch Opern inszeniert sie, lehrt seit 25 Jahren an der Hochschule für Fernsehen und Film in München, wo sie einst selbst studierte, kämpft für Gleichberechtigung in ihrer Branche, gibt SchreibWorkshops, ist Mitglied der Oscar-Jury
Vor 37 Jahren wurde die Arzttochter aus Hannover schlagartig berühmt mit ihrer Geschlechterkomödie „Männer“, unglaubliche fünf Millionen Zuschauer, und der Spiegel setzte sie auf das Cover. Seitdem: mehr als vierzig Filme, schräg, lustig, traurig, so großartige wie zum Beispiel das zarte Melodram „Kirschblüten – Hanami“. Nun also kommt nach einem in diesem Jahr erschienenen Dörrie-Buch „Die Heldin reist“auch wieder ein neuer Dörrie-Film, in der Hauptrolle ein „Freibad“, und zwar eines nur für Frauen.
Das Freibad sei für sie ein Trainingslager für die Demokratie, an dem sich mehrere gesellschaftliche Schichten begegnen, auch mal aufeinanderprallen, sagt die Regisseurin. Aber für Doris Dörrie, regelmäßige und begeisterte, nach eigenen Angaben aber auch sehr langsame Bahnenschwimmerin im Münchener Nordbad, ist es wie jeder bevölkerte Ort eine Fundgrube fürs immer mitgeführte Notizbuch.
Schon immer habe sie Geschichten erzählen wollen, sagt Dörrie, auch schon als Schauspielschülerin in Kalifornien: „Ich wusste nur noch nicht, wie.“Eine kleine verrückte Geschichte auch dies. Stefanie Wirsching