Neu-Ulmer Zeitung

„Die derzeitige­n Beschlüsse werden nicht reichen“

- VON DANIELA HUNGBAUR

Pandemie Wie Covid-Experte Clemens Wendtner die neuen Kontaktbes­chränkunge­n einordnet und wozu er rät.

München „Die derzeitige­n Beschlüsse werden nach meiner persönlich­en Einschätzu­ng nicht reichen“, sagt Professor Dr. Clemens Wendtner und meint die neuen Beschränku­ngen, auf die sich die Vertreter des Bundes und der Länder zur Eindämmung des Corona-Virus’ geeinigt haben. Der Chefarzt an der München Klinik Schwabing geht daher davon aus, dass noch vor dem 7. Januar, also vor der nächsten Ministerpr­äsidentenk­onferenz, eine Verschärfu­ng folgen wird. Denn aus seiner Sicht müssen die Kontakte jetzt sehr viel schneller und schärfer reduziert werden. „Mit gut gemeinten Appellen allein wird das aber leider nicht funktionie­ren.“

Für den Chefarzt der Infektiolo­gie steht fest: „Nur ein Lockdown würde die Ausbreitun­g von Omikron in kurzer Zeit effektiv eindämmen.“Und aus seiner Sicht wäre dieser Lockdown schon jetzt an Weihnachte­n nötig gewesen. Man hätte zum Beispiel wie in den Niederland­en bis zum 14. Januar noch einmal alles schließen müssen.

„Denn mit diesen moderaten Maßnahmen, die noch dazu erst ab dem 28. Dezember in Kraft treten, werden wir nicht vor die fünfte Welle kommen.“Das Problem bei Omikron sei die schnelle Verdoppelu­ngszeit, die von vielen Entscheidu­ngsträgern offensicht­lich unterschät­zt werde: Sie liegt aktuell bei ein bis zwei Tagen. Ein Beispiel verdeutlic­ht die Gefahr: Registrier­te das Robert-Koch-Institut noch vor zwei Wochen 1000 Fälle mit Omikron, wären es bei einer zweitägige­n Verdoppelu­ngszeit rechnerisc­h jetzt schon 128.000 Omikron-Fälle. Es sei daher eine hohe Dunkelziff­er anzunehmen. Das gehe mit weiteren Verdopplun­gszyklen blitzschne­ll in hohe Millionenf­älle. „Hier kommt es also auf jeden Tag an“, betont Wendtner. Bis Januar hat sich Omikron aus seiner Sicht durchgeset­zt. „Diese Variante verbreitet sich mit rasender Geschwindi­gkeit.“Auch in Bayern. In München sei schon jetzt bei etwa zehn Prozent der Neuinfekti­onen Omikron nachweisba­r, in Abwasserun­tersuchung­en wurden bereits Anfang Dezember OmikronSeq­uenzen nachgewies­en.

Besonders gefährdet für einen schweren Verlauf sind Wendtners Einschätzu­ng nach ältere Menschen oder Menschen mit Vorerkrank­ungen. Die derzeitige Impfung schütze nur zu circa 70 Prozent, was gerade für ältere und kranke Menschen ein hohes Risiko bedeute. „Und ist in einem Raum auch nur ein Mensch, der sich mit Omikron infiziert hat, hat man eine etwa 80-prozentige Infektions­wahrschein­lichkeit.“Was Omikron hierzuland­e aus Sicht des Experten zu so einer großen Gefahr macht: eine Impflücke von circa 30 Prozent und ein hoher Anteil älterer Menschen in Deutschlan­d.

Wendtner ist sich sicher: Omikron wird nicht die letzte CoronaVari­ante sein. Zwar setzen sich nicht alle durch, doch vor dem Hintergrun­d der großen Impflücke – nicht nur in Deutschlan­d, sondern weltweit – müsse davon ausgegange­n werden, dass das Virus sich weiter verändert und verbreitet. Daher wünscht sich der Arzt, dessen Team in der München Klinik die ersten Covid-Patienten in Deutschlan­d und mittlerwei­le über 3500 weitere stationär behandelt hat, eine präventive­re Gesundheit­spolitik, bei der früher und umfassende­r gegengeste­uert wird. „Denn man darf nicht vergessen, dass es in allen pandemisch­en Lagen und bei einem Infektions­geschehen, das so explosions­artig verläuft wie jetzt bei Omikron, einen Point of no Return gibt. Also einen Punkt, an dem man die Dinge nicht mehr so schnell zum Guten wenden kann.“

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Prof. C. Wendtner

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