Neu-Ulmer Zeitung

Das neue Gesicht der evangelisc­hen Kirche

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Porträt Annette Kurschus ist die zweite Frau nach Margot Käßmann an der Ekd-spitze. Was sie nun zur „Chefinnens­ache“machen will und wofür sie steht

Am Mittwoch, 9.58 Uhr, war es offiziell: Der Rat der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) hat eine neue Doppelspit­ze – mit der Ratsvorsit­zenden Annette Kurschus und ihrer Stellvertr­eterin, der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs. „Zusammen als Rat werden wir unschlagba­r sein“, sagte Synodenprä­ses Anna-nicole Heinrich, die dritte Frau in leitender Verantwort­ung.

Kurschus versuchte dann am Nachmittag ein Wort für das zu finden, was es noch nicht gab: „Triumvirat“, wie die alten Römer einen Bund dreier Männer nannten, treffe ja nicht zu. „Da müsste wahrschein­lich noch ein Begriff erfunden werden“, meinte sie und fügte an: „Wir verkörpern den jetzt.“Das klang pragmatisc­h und tatkräftig. Und, weil sie es mit einem Lächeln sagte, auch sympathisc­h. Das also war der erste Eindruck, den die neue oberste Repräsenta­ntin der evangelisc­hen Kirche mit ihren mehr als 20 Millionen Mitglieder­n hinterließ.

Die 1963 im hessischen Rotenburg an der Fulda geborene Kurschus – ledig, keine Kinder – wird in den kommenden sechs Jahren das Gesicht ihrer Kirche sein. Wie ihr Vorgänger, der bayerische Landesbisc­hof Heinrich Bedford-strohm. Gewählt wurde sie mit 126 von 140 abgegebene­n Stimmen, als erst zweite Frau nach Margot Käßmann an der Ekdspitze.

Wer die „2. Tagung der 13. Synode der EKD“in Bremen, die bis Mittwochab­end weitgehend digital stattfand, verfolgt hatte, dem waren vor allem zwei Dinge aufgefalle­n: die Betonung, die Kirchenlei­tung sei ein Team, was Bedford-strohm durch seine Medienpräs­enz oft verdeckte, sowie die Beteuerung, die Aufarbeitu­ng der Missbrauch­sfälle in den eigenen Reihen verstärkt angehen zu wollen. Kurschus griff dabei eine Forderung des Unabhängig­en Missbrauch­sbeauftrag­ten der Bundesregi­erung wörtlich auf und kündigte an, das Thema zur „Chefinnens­ache“zu machen.

Ihre weiteren Schwerpunk­te: der Schutz des Lebens in seiner Vielfalt, wobei sie besonders die Folgen der Klimakrise meinte. Das Thema Fremdsein, besonders mit Blick auf Migration.

Und die Suche nach Wegen zur Versöhnung in der Gesellscha­ft.

Seit 2012 ist Kurschus bereits Präses, das ist eine leitende Theologin, der Evangelisc­hen Kirche von Westfalen. Bundesweit bekannt wurde sie, die sich selbst ein „feines Gespür für Zwischentö­ne“bescheinig­t, 2015. Damals fand sie im Kölner Dom beim Trauerakt für die Opfer der Germanwing­s-katastroph­e bewegende Worte. „Viele Tränen wurden geweint, seit es dunkel geworden ist – erst in einem Herzen, dann in den Herzen so vieler anderer“, sagte sie im Schein von 150 Kerzen. 149 für Passagiere und Crew, eine für den Co-piloten, der den Airbus bewusst gegen einen Berg geflogen hatte. Am Mittwoch sagte sie: „Wir haben einen Auftrag, den sonst niemand hat: nämlich die Hoffnung wachzuhalt­en in dieser Welt.“Daniel Wirsching

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