Vom Flüchtlingskind zur Instanz für Gegenwartskunst
Porträt Ingvild Goetz, die große Münchner Sammlerin und Mäzenin, wird 80 Jahre alt
aufgebaut werden konnte, dann die große Sammlung von Ingvild Goetz auch mit dem erwirtschafteten Geld des Versandhandels. Als Kriegsflüchtling hatte ihr Vater Werner Otto – nahezu mittellos – in Hamburg eine Schuhfabrikation gegründet, die dann im deutschen Wirtschaftswunder als flächendeckender Otto-versand Hamburg prosperierte. Aber dass der Hamburger Anfang in äußerst bescheidenen Verhältnissen stattfand, das hat Ingvild Goetz – auch außerhalb der Kunstszene – nie vergessen.
Zunächst jedoch suchte sie Fuß zu fassen im Kunsthandel. In Konstanz gründete sie 1969 den Grafikverlag „Art in progress“, drei Jahre später unter nämlichen Titel eine Galerie in Zürich, mit der sie in der Folge schon früh auf Bruce Nauman, Christo sowie Mel Bochner aufmerksam machte. In Zürich allerdings endete das Unternehmen jäh, nachdem der einstige Fluxuskünstler
Wolf Vostell mit einer Aktion seinen Finger in eine Schweizer Wunde hielt: eidgenössische Waffenlieferungen nach Angola. Ingvild Goetz ging ihrer Arbeitsgenehmigung als Galeristin verlustig – und zog mit ihrem jungen Unternehmen in die Münchner Maximilianstraße, wo sie sich dann unter anderem für Cy Twombly einsetzte – heute überragend auch in der Fülle im Brandhorst Museum zu betrachten, noch so eine Parallele.
Die Auszahlung eines Teils des Familienvermögens gestattete Ingvild Goetz 1984, sich ganz und gar dem Sammeln, der Kunst-vermittlung und der ehrenamtlichen Gremienarbeit hinzugeben. Knapp 20 Jahre später sollte sie die größte private Kollektion zeitgenössischer Kunst in Deutschland besitzen, darunter die Schwerpunkte Arte Povera, Young British Artists, Foto, Medienkunst sowie Arbeiten auf Papier – auch als skizzenhafter, entwerfender, schöpferischer Kunstursprungsort, darunter zudem, stark gewichtet, Kunst von Frauen und Kunst politischer Stoßrichtung. Im Grunde nicht verwunderlich für alle, die das Profil zeitgenössischer Kunst verfolgen.
Ab 1993 zeigte Goetz ihre wachsende Sammlung nahe des Englischen Garten in Oberföhring. Dort hatten ihr die Architekten Herzog & Meuron neben das Privathaus ein kubisches Museum errichtet, in dem sie sich kostenlos vielfach dem widmete, was sie einerseits für beachtenswert hielt, andererseits in den freistaatlichen Sammlungen noch nicht angekommen war. Entsprechende Lücken dort schloss sie 2014 durch großzügige Dauerleihgaben und Schenkungen, einschließlich ihres Museums – was wieder einmal bewies: Gute Kunst landet über kurz oder lang im öffentlichen Museum.
Mit den einst kaum erhebenden Erfahrungen eines Flüchtlingskinds begründet Ingvild Goetz auch ihr soziales Engagement für Randgruppen. Gut acht Millionen Euro brachte 2013 eine Londoner Auktion von Kunst aus ihrem Besitz ein; der Ertrag kam Asylbewerbern und Menschen mit Essstörungen zugute.