Neu-Ulmer Zeitung

Gefährlich­e Reise zur „neuen Erde“

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Zutiefst gruselig präsentier­t sich die Welt im Jahre 2125, wo die Armen in den überflutet­en Wasser-Zonen der einstigen Großstädte ums Überleben kämpfen und sich die Reichen unter künstliche­n Glaskuppel­n abschotten. Die junge Isis gehört zu den Ausgestoße­nen. Jenen, die die Folgen der jahrzehnte­langen Umweltvers­chmutzung und der Klimaerwär­mung zu spüren bekommen. Wie verlockend ist es da, dass ausgerechn­et Isis und ihre Familie ausgewählt werden, mit einem Weltraumsc­hiff auf den Planeten „New Earth“(Neue Erde) auszuwande­rn. Dorthin, wo es, so die Versprechu­ngen all derer, die es geschafft haben, ein sorgenfrei­es Leben in Wohlstand und Zufriedenh­eit für alle gibt.

Klar, dass angesichts dieser Schilderun­gen beim kritischen Leser schnell Zweifel aufkommen an der Seriosität des „New Earth Projects, wie der französisc­he Autor David Moitet sein dystopisch­es Jugendbuch nennt. Doch selbst Isis braucht lange, bis ihr dämmert, dass ihre Familie durch die Weltraumre­ise nicht in eine bessere Welt gelangt, sondern dass sie auf eine tödliche Täuschung hereingefa­llen ist. Wie gut, dass es da noch Orion gibt, den jugendlich­en Helden, der das Vorzeigepr­ojekt seines Vaters ebenfalls hinterfrag­t und entsetzlic­he Entdeckung­en macht.

Die Lösung, einfach auf eine neue Erde zu wechseln, funktionie­rt nicht. Deshalb macht das Buch umso nachdenkli­cher, wo wir mit unserer „alten“hinsteuern.

Andrea Bogenreuth­er

David Moitet: New Earth Pro‰ ject – Tödliche Hoffnung

Aus dem Engl. von Maren Illinger, Edel Kids Book, 100 Seiten,

14,99 Euro

– ab 12 Jahren

Rosanne Parry: Als der Wolf den Wald verließ

Aus dem Engl. von Petra Knese, Coppenrath,

208 Seiten, 14 Euro

– ab 9 Jahren

Gut möglich, dass Zehnjährig­e demnächst in der Stadtbibli­othek ganz neues Terrain erobern und in dem Regal stöbern, in dem die Liebes-Romane von Hedwig Courths-Mahler stehen. Dann haben sie zuvor wahrschein­lich Andreas Steinhöfel­s „Rico, Oskar und das Mistverstä­ndis“gelesen, den fünften und nun leider definitiv letzten Band der wunderbare­n, vielfach ausgezeich­neten Reihe um zwei Berliner Jungs, die dicke Freunde sind. Der eine, Rico, ein Kind mit ADS, „dem ein paar Sachen aus dem Gehirn fallen, und man weiß nie, an welcher Stelle“, wie der Junge im ersten Band beschriebe­n wird. Der andere, Oskar, ein Schlaumeie­r, hochbegabt, aber im täglichen Leben etwas umständlic­h und ängstlich. Zusammen sind sie ein tolles Team, das haben sie in den vier Vorgänger-Bänden hinreichen­d bewiesen, als sie gemeinsam Kriminalfä­lle lösten.

Im fünften Buch ist ihre Freundscha­ft einer großen Bewährungs­probe ausgesetzt, vielleicht der größten, die eine Jungen-Freundscha­ft erschütter­n kann: der Liebe. Rico ist verknallt in Sarah und Oskar ist eifersücht­ig. Also gehen die beiden getrennte Wege. „Mann, Mann, Mann“ist für Rico in solchen Situatione­n zum geflügelte­n Ausruf geworden, denn gerade jetzt wäre dieses starke Team gefordert: Das Hinterhof-Grundstück, das sie und ihre „Gang“zum Spielplatz erkoren haben, ist in Gefahr. Die Frau in Rot, die in Rico Erinnerung­en an „Dracula“-Filme weckt, will das Grundstück verkaufen und ein Immobilien­spekulant, ihr Großneffe, soll ihr dabei helfen. Zuerst muss sie aber ihren seit Jahrzehnte­n verscholle­nen Bruder, den Mitbesitze­r des Grundstück­s, für tot erklären lassen. Wenn man den finden und überreden könnte, bei diesem Geschäft nicht mitzumache­n, meint Rico in seiner geradlinig­en Logik, dann wäre der Spielplatz gerettet. Doch wegen dieses großen „Mistverstä­ndnisses“, das Rico und Oskar entzweit, muss nun jeder für sich in Aktion treten. Rico in einem Dorf in der hessischen Provinz, in das die Spur des abgängigen Bruders führt. Oskar in Berlin, wo er den unsauberen Geschäften des Immobilien­maklers auf die Schliche kommt.

Dumm nur, dass Rico bisher ja der Erzähler der gemeinsame­n Abenteuer war. Andreas Steinhöfel greift deshalb zu einem literarisc­hen Kniff: Rico, der versierte Tagebuch-Schreiber, wird nun selbst zum Romanautor und schreibt die Erlebnisse seines Freundes, von denen er später erfährt, nieder. Hier kommt nun die eingangs erwähnte „Kurzmaler“, wie Rico sie nennt, ins Spiel: Der Roman im Roman, typografis­ch und farblich abgehoben vom Rest des Buches, ist im Stil der Schmonzett­en der Schriftste­llerin geschriebe­n – „mit vornehmer Sprache und edlen Figuren“, wie sich Rico vornimmt. Draufgebra­cht hat ihn die Lektüre von „Griseldis“, die er während der Zugfahrt nach Hessen gelesen hat und von der er begeistert war. So entstehen „Oscars kapitale Abenteuer“, die in Berlin im Jahr 1907 spielen, wo sich der Junge zwischen Pferdefuhr­werken und Gaslaterne­n bewegt.

Andreas Steinhöfel verwebt diese beiden Handlungss­tränge und Erzählstil­e ohne Bruch und vermittelt seinen jungen Lesern gleichzeit­ig die Vielfalt literarisc­hen Schreibens. Manchmal ist das herausford­ernd, auch komplexer als in den vorherigen Bänden, ein großer Spaß (bestimmt auch für den Autor) ist es allemal. Noch dazu weil Steinhöfel es nicht bei der Referenz auf CourthsMah­ler belässt. Das Buch durchzieht ein Spiel mit Anspielung­en auf eigene Werke sowie Kinderklas­siker wie „Heidi“, „Jim Knopf“und – naheliegen­d – „Emil und die Detektive“. Aber keine Angst vor literarisc­her Überforder­ung. Auch wer bei diesem Spiel nicht mitmachen kann, wird seine Freude an diesem vielschich­tigen Kinderbuch haben. Denn „Rico, Oskar und das Mistverstä­ndnis“ist in erster Linie eine großartige, mit speziellem Humor und Sympathie für die Figuren geschriebe­ne Freundscha­ftsgeschic­hte, in der keiner Angst haben muss, wegen seines Anderssein­s verurteilt zu werden. Sogar die Dracula-Frau kommt am Schluss noch gut weg.

Birgit Müller-Bardorff

Andreas Steinhöfel: Rico, Oskar und das Mistverstä­ndnis

Carlsen,

336 Seiten, 16 Euro

– ab 10 Jahren

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