Neues Zentrum: Gewagter, aber richtiger Schritt
Es ist eine außergewöhnliche Herausforderung, der sich die Stadtverwaltung und der Gemeinderat von Ulm in den nächsten Monaten stellen: In einer Zeit, in der der Einzelhandel dort und in anderen Städten um seine bloße Existenz fürchtet, planen die Ulmer Verantwortlichen eine neue Fußgängerzone. Genauer gesagt: eine Einkaufsmeile, die das Bild der Stadt für die nächsten vier oder mehr Jahrzehnte prägen soll. Dabei weiß naturgemäß keiner, wie sich öffentliches Leben und Bedürfnisse der Menschen entwickeln werden.
Das Projekt, das erst ganz allmählich beginnt, ist deswegen keineswegs fahrlässig. Es ist genau richtig. Zum einen mit Blick auf die Gegenwart: Händler fürchten angesichts der coronabedingten Umsatzeinbrüche um ihre Geschäfte, Angestellte bangen um ihre
Jobs. Im bei Kunden beliebten Traditionskaufhaus Abt hat der Betreiber-Konzern Müller bereits 21 Mitarbeiter gefeuert. Nur so, sagt ein Sprecher, habe man eine Chance, das Kaufhaus zu retten. Die Branche zittert um das Überleben.
In dieser Zeit ist der noch vage erste Schritt in Richtung einer neuen Fußgängerzone vielleicht sogar ein bisschen Wirtschaftsförderung, in jedem Fall aber ein Signal. Es sagt: Wir glauben an euch, ihr Händler. Klar ist, dass es den Räten dabei nicht nur ums Wohl der Kaufleute geht. Eine attraktive Innenstadt macht die gesamte Stadt beliebter, für Bewohner und Kunden von außerhalb. Sie ist ein Standortfaktor für Unternehmen, die ihren Mitarbeitern etwas bieten wollen. Die Firmen bringen der Stadt das Geld, das gilt für Kaufhäuser und alle anderen Betriebe. Der Auftakt der Planungen wird keinen zusätzlichen Kunden in die Ulmer Fußgängerzone locken. Die Bauarbeiten werden, wenn sie beginnen, die Besucher und Einkäufer erst einmal abschrecken. Aber das Licht am Ende des Tunnels ist ein bisschen heller geworden.
Auch wenn keiner die Bedürfnisse der Zukunft kennt, helfen Prognosen bei den Entscheidungen. Weil es wärmer wird, sollen mehr Bäume her. Weil die Digitalisierung wichtiger wird, sollen Grundlagen dafür geschaffen werden. Sehr sicher wird auch die neue Fußgängerzone irgendwann veraltet sein, vielleicht sogar als hässlich gelten. Aber so ist es oft.
Bei allen Planungen für die Zukunft gilt aber: Jetzt steht erst einmal die Gegenwart der Fußgängerzone und der Geschäfte auf dem Spiel. Nicht nur in Ulm.