„Ich war Charlie“
Wie sich das Leben von Luz geändert hat
Wer oder wie Charlie Hebdo heute ist, das weiß Luz nicht. Er liest das Satiremagazin nicht, so wie er die französische Presse generell nur noch überfliegt. „Das alles ist weit weg von mir“, sagt er. Es komme aus einer anderen Welt, einem unbeschwerteren Leben. Und das endete am 7. Januar 2015. Wer und was Charlie Hebdo vorher war, das wiederum wissen wenige Menschen so gut wie Luz, der eigentlich Rénald Luzier heißt, aber in Frankreich unter seinem Künstler- und Spitznamen bekannt ist. 23 Jahre lang arbeitete der 47-Jährige für das Blatt, das für seinen respekt- und schamlosen Humor, seine bissigen Karikaturen, die vulgären Provokationen berüchtigt war. Seit dem 7. Januar 2015 kennt man es weltweit – wegen einem der schlimmsten Terroranschläge in Frankreich, bei dem elf Menschen getötet wurden, davon acht Redaktionsmitglieder. Luz entging dem Attentat, weil der 7. Januar sein Geburtstag ist. Er kam damals zu spät zur Redaktionskonferenz; seine Kollegen fand er nur noch tot oder verletzt vor.
Allmählich, sagt er, fange er wieder an, seinen Geburtstag zu feiern. „Ich hole mir das Datum zurück.“Stück für Stück holt er sich auch sein Leben zurück, indem er den Anschlag in Büchern verarbeitet. Schon wenige Monate danach veröffentlichte er mit „Katharsis“eine berührende Aufarbeitung, im Herbst 2018 brachte er einen weiteren Erwachsenen-Comic über Hebdo heraus. Der erscheint nun auf Deutsch unter dem Titel „Wir waren Charlie“. „Unauslöschbar“heißt er auf Französisch – unauslöschbar wie die Erinnerungen an die früheren Kollegen. Im Gespräch über das Buch in den Räumen seines französischen Verlags wirkt Luz abgeklärt, spricht viel, lacht manchmal. Anders als „Katharsis“, sagt er, habe er „Wir waren Charlie“nicht für sich selbst geschrieben, sondern für jene, die nach dem Attentat aus Solidarität „Ich bin Charlie“riefen: Sie sollen einen Blick hinter die Kulissen von Charlie Hebdo bekommen. Politisch unkorrekt waren sie in der Redaktion, scharfe Kritiker aller Religionen. Die Attentäter brüllten denn auch, sie wollten mit ihrer Bluttat Allah rächen. Dass der Name Charlie Hebdo seitdem für ein Drama steht, bedauert Luz. „Man hat es in einen symbolischen Tresor eingeschlossen, dabei war kein Symbol, keine Wikipedia-Seite, kein Datum, kein Aufkleber. Sondern es war Arbeit, es waren Begegnungen, es war fast ein Vierteljahrhundert meines Lebens.“
Luz zeichnete im Januar 2015 noch die Titel-Karikatur für die „Ausgabe der Überlebenden“, die eine Woche nach dem Anschlag erschien. „Alles ist verziehen“, wurde einem weinenden Propheten Mohammed in den Mund gelegt. Er nahm am Solidaritätsmarsch in Paris teil, zu dem rund vier Millionen Menschen, darunter Staats- und Regierungschefs, kamen. Er ging zu den Beerdigungen seiner Freunde. Dann brach der Kontakt weitgehend ab. Er habe damals vorgeschlagen, nach einer Pause von sechs Monaten einen Neubeginn zu machen. „Aber die Herausgeber wollten sofort weitermachen, um zu zeigen, dass wir nicht besiegt wurden.“Das sei mutig gewesen, aber nicht sein Weg. „Ich war Charlie“, sagt Luz. „Aber ich bin nicht mehr Charlie.“
Luz: Wir waren Charlie. Aus dem Französischen von Vincent Julien Piot, Tobias Müller und Karola Bartsch. Reprodukt, 320 Seiten, 29 Euro