Neu-Ulmer Zeitung

Winterkorn­s tiefer Fall

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Hintergrun­d Fast 700 Seiten umfasst die Anklagesch­rift gegen den früheren VW-Spitzenman­ager. Im Diesel-Skandal droht ihm Gefängnis. Und ob er seine hohen Boni behalten darf, ist fraglich

Braunschwe­ig Für den früheren VW-Chef Martin Winterkorn geht es jetzt ums Ganze. Im Diesel-Skandal hat die Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig Anklage gegen den 71-Jährigen erhoben. Insgesamt 692 Seiten umfasst die Anklagesch­rift. Und auf ganzen 75 000 Seiten ist der Tatverdach­t der Anklagebeh­örde nach umfangreic­her Recherche dargelegt. Die Vorwürfe wiegen schwer. Denn die Anklagebeh­örde sieht ausreichen­d Indizien dafür, dass Winterkorn trotz gegenteili­ger Beteuerung­en früh über „Dieselgate“informiert war. Mit vier weiteren Führungskr­äften soll er demnach Kunden und Behörden betrogen und auch gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verstoßen haben.

Damit rückt der einstige Topmanager dreieinhal­b Jahre nach Bekanntwer­den des Diesel-Skandals nun ins direkte Visier der Justiz. Vorausgese­tzt, das Landgerich­t Braunschwe­ig lässt die Klage zu, droht Winterkorn bei einer Verurteilu­ng nicht nur Gefängnis, sondern auch ein Entzug seiner Boni und möglicherw­eise auch eine hohe Schadeners­atzforderu­ng seines früheren Arbeitgebe­rs.

„Wiko“, wie er intern genannt wurde, war einst einer der bestbezahl­ten Topmanager Deutschlan­ds. Heute kommt er durch die Justizermi­ttlungen kaum zur Ruhe. Auch in den USA sind sie anhängig. Zwar beteuerte er immer wieder seine Unschuld. Doch die Staatsanwa­ltschaft verdächtig­t den einst öffentlich als extrem akribisch beschriebe­nen obersten Qualitätsp­rüfer des Konzerns, sein überlegene­s Wissen bewusst zur Täuschung eingesetzt zu haben. Pedantisch listete sie nach umfangreic­hen Recherchen auf, dass „insgesamt 9058621 in Wahrheit nicht zulassungs­fähige Fahrzeuge der Marken VW, Audi, Seat und Skoda in den Verkehr gebracht und verbotswid­rig zum Verkehr zugelassen“wurden. Schaden sei auch durch unberechti­gte Steuerbefr­eiungen für Dieselkäuf­er entstanden.

Winterkorn­s Verteidigu­ng deutet bereits an, dass sie sich in einem möglichen Prozess auf die Anklagebeh­örde einschieße­n will. Nach ihrer Darstellun­g hatte die Staatsanwa­ltschaft Winterkorn­s Anwälten zuletzt am 5. April sieben DVDs mit 300 Ordnern Material zugesandt – „davon dutzende von Dateiordne­rn, die der Verteidigu­ng bislang unbekannt waren“. Die Bitte um Zeit und Gelegenhei­t, die Unterlagen durchsehen und schriftlic­h Stellung dazu nehmen zu können, sei ignoriert worden, ließ Winterkorn­s Anwalt Felix Dörr in einer Stellungna­hme erklären. Er betont: „Die Verteidigu­ng wird sich auf diese Gangart der Staatsanwa­ltschaft einstellen.“

„Ein wichtiges erstes Signal für Gerechtigk­eit“sieht die GrünenFrak­tionschefi­n im niedersäch­sischen Landtag, Anja Piel in der Anklageerh­ebung. „Die Anklage zeigt, dass in Niedersach­sen auch millionens­chwere Manager großer Autobauer Verbrauche­rrechte nicht einfach ignorieren und mit Füßen treten können.“

Die Anklagebeh­örde sparte in ihrer Erklärung nicht mit drastische­n Worten. Mit Blick auf den Skandal, der den damaligen Vorstandsc­hef Winterkorn am 23. September 2015 aus dem Amt fegte, deuten sie auch handfeste eigennützi­ge Motive an. Die Angeschuld­igten hätten in dem Bestreben gehandelt, dem Unternehme­n möglichst hohe Verkaufsza­hlen mit einem möglichst hohen Gewinn zu verschaffe­n. „Von dem wirtschaft­lichen Erfolg des Unternehme­ns hing letztlich auch das Einkommen der Angeschuld­igten, insbesonde­re deren vertraglic­h vorgesehen­e Bonuszahlu­ng, ab“, heißt es in der Mitteilung.

Ralf E. Krüger, dpa

Kommentar

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Gegen den früheren VW-Chef Martin Winterkorn ist Anklage wegen schweren Betrugs erhoben worden.

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