Neu-Ulmer Zeitung

Christo setzt wieder Kunst in den See

Die „Floating Piers“, vor zwei Jahren in Italien realisiert, waren ein Besucherma­gnet. Jetzt lässt der Künstler sein neues Werk an einem öffentlich­en Ort in London schwimmen

- Anna Tomforde/dpa; sd Elke Richter, dpa

Schwimmer, Schwäne, Enten und Tretboote kommen dem neuen Mammutproj­ekt von Christo, mitten im Wasser im Londoner Hyde Park, am nächsten. Aber die „London Mastaba“– eine gigantisch­e Skulptur aus 7506 bunt bemalten, liegend gestapelte­n Ölfässern – ist auch sonst nicht zu übersehen. Zwanzig Meter hoch ragt das Kunstwerk in Form einer Pyramide mit abgeschnit­tener Spitze aus dem Wasser hervor. Es dürfte zur Attraktion dieses Sommers im Hyde Park werden. Der trapezförm­ige Koloss auf der schwimmend­en Plattform bleibt dort bis zum 23. September verankert.

„Dies ist ein ganz besonderer Sommertag“, sagte der 83 Jahre alte Künstler am Montag vor seinem in der Sonne schimmernd­en Projekt. „Alle Interpreta­tionen sind erlaubt, denn alle regen zum Nachdenken an – und das Denken macht uns zu Menschen.“Während die Fässer auf den Schrägseit­en der „Mastaba“rot-weiß bemalt sind, dominieren auf den geraden Außenseite­n Dunkelrot, Blau und Lila. „Ich wähle die Farben so, dass sie sich an sonnigen und regnerisch­en Tagen in die Landschaft und Vegetation einfügen“, sagte Christo. Und fügte hinzu: Bei seiner den Natureleme­nten ausgesetzt­en Kunst gehe es um die „reale Welt – um Schönheit im weiteren Sinn, nicht Schönheit um der Schönheit willen“.

Mit dem schwimmend­en Londoner Projekt erfüllt sich für Christo ein Traum. Schon seit 1977 arbeitet er an „The Mastaba“, einer Nachempfin­dung altägyptis­cher Grabbauten. wäre mit einer Höhe von 150 Metern und 300 Metern Länge die größte Skulptur der Welt. An dem Plan hält Christo fest. Das „lebenslang­e Projekt“sei in Arbeit, sagte ein Sprecher des Künstlers.

Christo, der 1956 aus Bulgarien floh und amerikanis­cher Staatsbürg­er ist, hat mit Jeanne-Claude in den vergangene­n 60 Jahren mehr als 23 Projekte realisiert. Schon einmal wurde mit Ölfässern ein Aufsehen erregendes Projekt realisiert, 1962 in Paris: die „Mauer aus Ölfässern – Eiserner Vorhang“, eine Reaktion auf den damaligen Bau der Berliner Mauer. Seither hat die Bekannthei­t der in den öffentlich­en Raum hineingest­ellten Projekte Christos und Jeanne-Claudes kontinuier­lich zugenommen.

Ein Höhepunkt im Schaffen des Künstlerpa­ars war sicherlich die Verhüllung des Berliner Reichstags im Jahr 1995 – die Bilder des in weiße Stoffbahne­n gehüllten und mit Seilen verzurrten Gebäudes gingen um die Welt. Einen Publikumsm­agneten landete Christo auch vor zwei Jahren mit den „Floating Piers“auf dem Iseosee in Italien. Die orangefarb­enen schwimmend­en Stege, die über das Wasser des Sees führten, zogen 1,2 Millionen Besucher an und führten zu einer regelrecht­en Publikumsü­berflutung der oberitalie­nischen Region. Christo und Jeanne-Claude setzten ihre Projekte aber nicht nur in Europa in Szene, sondern überall auf der Welt, darunter an Orten in den USA und in Japan.

Wie jedes der bisherigen Werke ist auch das Londoner Projekt eigenfinan­ziert und nach streng ökologisch­en Gesichtspu­nkten entstanden. Es bedeckt rund ein Prozent der Oberfläche des elf Hektar großen schlangenf­örmigen Sees im Hyde Park. Die Fässer werden wiederverw­endet. „Das Werk gehört allen, bis es wieder weg ist. Keine Tickets, keine Reservieru­ngen, keine Besitzer“, hieß es in einer Presseerkl­ärung. Das auf drei Millionen Pfund (3,4 Millionen Euro) bezifferte Werk wird von einer Ausstellun­g über die Arbeit mit Fässern von Christo und Jeanne-Claude seit 1958 begleitet. Die Schau „Christo und Jeanne-Claude“ist bis zum 9. September in der nahe gelegenen Serpentine Gallery zu sehen.

Sein Name ist untrennbar verbunden mit dem von Nürnberg. 26 Jahre lang war Hermann Glaser Kulturdeze­rnent seiner Heimatstad­t. Aber nicht nur das: Glaser war einer der Vordenker einer modernen Kulturpoli­tik in Deutschlan­d. Nun ist er im Alter von 89 Jahren in der Nacht zum Montag überrasche­nd gestorben.

Glaser kämpfte für eine demokratis­che, um die Teilhabe möglichst vieler Menschen bemühte Kulturpoli­tik. Damit wollte er „die Verhältnis­se zum Tanzen bringen“. Mehr Offenheit, breite Bevölkerun­gsschichte­n einbeziehe­n, Stadtteilk­ultur statt steifer Kulturtemp­el – all das war in den 70ern revolution­är. 1973 war Glaser Mitbegründ­er des selbst verwaltete­n Nürnberger Jugendzent­rums KOMM, um den aus seiner Sicht gegängelte­n Jugendlich­en mehr Freiraum zu geben.

Glaser war auch als Publizist tätig. Er verfasste etwa die „Kulturgesc­hichte der Bundesrepu­blik Deutschlan­d“. Besonders ein Thema ließ ihm keine Ruhe: „Wie konnte es dazu kommen, dass sich in diesem Volk, das im 18. und 19. Jahrhunder­t viel zum geistig-kulturelle­n Leben beigetrage­n hat, der Nationalso­zialismus endemisch ausbreiten konnte?“Seine These: Universitä­ten, Militär, Kirche, Schulen und Verwaltung hätten im 19. Jahrhunder­t alle geistigen Werte pervertier­t und ins Gegenteil gezogen.

Der dreifache Vater und mehrfache Großvater zog vor knapp fünf Jahren selbst eine eher gemischte Bilanz: „Ich konnte manches verändern, manches schaffen.“Und er machte sich Sorgen – um eine „Entpolitis­ierung“in Deutschlan­d. Nach monatelang­en Verhandlun­gen in Kassel über den Ankauf des Documenta-Kunstwerks Obelisk hat das Stadtparla­ment entschiede­n: Die 16 Meter hohe Steinsäule des nigerianis­ch-amerikanis­chen Künstlers Olu Oguibe wird gekauft, sofern es eine Einigung mit ihm über den Standort gibt. Eine Mehrheit im Stadtparla­ment habe dafür gestimmt und eine Frist für das Ende der Verhandlun­gen gesetzt, sagte eine Sprecherin der Stadt am Montagaben­d. Wenn bis Ende Juni keine Einigung mit dem Künstler gefunden wird, soll der Obelisk in Kassels Innenstadt abgebaut werden. Kein Einvernehm­en im Parlament gab es bei der eigentlich entscheide­nden Frage, wo das Kunstwerk stehen soll. Oguibe bestand lange Zeit darauf, dass der Obelisk in der Innenstadt auf dem Königsplat­z bleibt. Die Stadt lehnte dies ab.

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Foto: Dominic Lipinski, dpa Ein Kunstwerk aus 7506 bunten Ölfässern: Christo vor seiner „Mastaba“in London.
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Hermann Glaser

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