Wie die Fischer um eine naturnahe Iller kämpfen
Bayerische Verbände wollen den Bau der genehmigten Anlage bei Dietenheim verhindern. Worauf sie hoffen
Größtenteils schnurgerade verläuft die Iller im Bereich zwischen Aitrach (südlich von Memmingen) und Vöhringen – und erinnert dabei mehr an einen Kanal denn an einen reißenden Wildbach. „Ein Gewässerparadies wurde vollständig zerstört“, sagt Hans-Joachim Weirather, Landrat im Unterallgäu und zugleich Präsident des Bezirksfischereiverbands Schwaben. Das sei Ende des 19. Jahrhunderts geschehen, mit dem Ziel, die Flächen entlang der Ufer urbar zu machen. Und zum Schutz vor Hochwasser: Je tiefer der Fluss in seinem Bett liegt, desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Überschwemmungen kommt. Aus heutiger Perspektive war der Umbau ein großer Fehler, sagt Weirather. Denn als Lebensraum für Tiere sei die Iller in diesem Abschnitt kaum noch zu gebrauchen.
Aus Sicht des Fischereiverbandspräsidenten muss zurückgerudert werden: Durch eine Renaturierung des Flusses, wie sie in anderen Bereichen bereits stattgefunden hat. Etwa bei Vöhringen, wo sich die Iller über Kiesbänke schlängelt. Dem Unterfangen stehen aus Sicht von Weirather jedoch die Pläne der Münchner Firma Fontin entgegen: Sie will bei Dietenheim ein Wasserkraftwerk in ein bestehendes Wehr einbauen. Wie Unternehmenschef Mathias Fontin sagt, soll die Anlage, ein sogenanntes Schachtkraftwerk, besonders umweltfreundlich arbeiten und die ökologische Situation vor Ort verbessern. Wassertiere und mitgespülte Steine könnten das Werk passieren, heißt es. Zudem seien eine Fischtreppe und Laichplätze vorgesehen.
Den Funktionären der Fischereiverbände auf bayerischer Seite ist das Projekt, für das bereits eine Baugenehmigung erteilt worden ist, dennoch ein Dorn im Auge. Im Zuge eines naturnahen Rückbaus der Iller müssten die zahlreichen Querbauwerke (Wehre) entfernt oder durch Sohlrampen umgangen werden. Ansonsten lasse sich die Fließgeschwindigkeit nicht so stark erhöhen, dass sich Fische und andere Tiere in dem Fluss wieder wohl fühlten. „Die Iller steht ja mehr, als dass sie fließt“, sagt Ulrich Krafczyk, der Geschäftsführer des Fischereiverbands Schwaben. Viele Fischarten bräuchten eine Strömung und Kiesflächen, um sich fortzupflanzen. „Das haben sie dort gar nicht mehr.“Weshalb die Bestände zurückgegangen seien. Bachforelle, Nase und Äsche könnten auf Dauer nicht überleben. Dass sich der Fluss nicht völlig in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzen lasse, sei klar, sagt Krafczyk. „Aber ein bisschen etwas machen kann man schon.“
Vorausgesetzt das Fontin-Kraftwerk werde nicht gebaut: Denn dann sei die jetzige Situation durch die Laufzeit der Anlage (vorgesehen sind 40 Jahre) „zementiert“.
Die Fischer seien keineswegs grundsätzlich gegen Wasserkraft, sagen Weirather und Krafczyk. Wohl aber gegen die Gewinnung von Energie im sogenannten „Mutterbett“der Iller. Darunter verstehen sie den Flusslauf abseits der zahlreichen Kanäle. Gewerblich genutzt werde das Gewässer ja bereits durch die zahlreichen Ausleitungen. 90 Prozent des Wassers der Iller werde zur Gewinnung von Energie verwendet, heißt es. Die Fischer erinnern an den Kampf für das IllerMutterbett in den 1990er Jahren. Das Fazit: An den Ausleitungsstellen (zu den Kanälen) müsse darauf geachtet werden, eine bestimmte Menge Wasser im Hauptstrom zu lassen, zwischen drei und fünf Kubikmeter seien das pro Sekunde.
Der Argumentation von Projektleiter Fontin – man entnehme der Iller im Zuge des Projekts bei Dietenheim kein Wasser, sondern nutze die jetzige Situation – stehen die Gegner kritisch gegenüber. Es gehe nicht um eine weitere Ausleitung, sagen sie. Sondern viel mehr darum, das Mutterbett von solchen Vorhaben völlig zu verschonen. Denn dem Bett werde ja ohnehin nur etwas Wasser belassen, gewissermaßen eine Art „ökologische Wiedergutmachung“für die gewerblichen Bauten, sagt Krafczyk. Und fordert: „Die Energiegewinnung muss in den Kanälen bleiben.“Fontins Pläne deckten sich nicht mit der Vorstellung der Fischer von der Iller als Lebenswelt, sagt Weirather. „Wir sehen ein fließendes Gewässer und kein stehendes.“Und: „Es ist ein schlechter Weg, das letzte bisschen Wasser auch noch zu nutzen.“Es gehe nicht nur um Fische, sondern auch um Insektenarten, deren abnehmende Bestände zuletzt immer wieder thematisiert worden seien.
Das Schachtkraftwerksprojekt bei Dietenheim stehe der Renaturierung nicht nur im Wege, so die Fischer. Sie halten es mit Blick auf die erzeugte Energiemenge schlichtweg für überflüssig. Große Wasserkraftwerke lieferten die meiste Menge Strom, sagt Weirather und verweist auf Zahlen des bayerischen Landesamts für Umwelt aus dem Jahr 2015. Daraus gehe hervor, dass kleinere Anlagen (mit einer Leistung von bis zu einem Megawatt) zwar den Löwenanteil aller rund 4200 Werke in Bayern ausmachten (95 Prozent) – im Gegenzug allerdings nur neun Prozent der insgesamt durch Wasserkraft wie die der Firma Fontin bringen nichts, sie richten nur Schaden an.“
Die Baugenehmigung durch das Landratsamt des Alb-Donau-Kreises mit Sitz in Ulm bezeichnet Weirather als „befremdlich“. Energetischer Nutzen einerseits und der mit dem Kraftwerk verbundene Eingriff in die Natur auf der anderen Seite stünden in keinem Verhältnis. Gezielt habe sich das Unternehmen wohl Dietenheim als Standort ausgesucht – und damit eine Exklave der Iller auf baden-württembergischer Seite, vermutet Krafczyk. Der Hintergrund: Immer wieder war von bayerischen Naturschützern zu hören, im Nachbarland werde politisch gesehen eine offensivere Strategie beim Ausbau regenerativer Energien verfolgt.
In Bayern gibt es Skepsis: Der Landesfischereiverband hatte sich Anfang dieses Jahres der Klage des Bund Naturschutzes Bayern gegen das Bauprojekt angeschlossen. „Wir fordern Herrn Fontin auf, von seinen Kraftwerksplänen in dem Gebiet Abstand zu nehmen“, sagt Weirather. Einsprüche gegen die Baugenehmigung (im Eilverfahren) hatte das Verwaltungsgericht in Sigmaringen zuletzt zurückgewiesen. Nach einer Beschwerde der Kläger dagegen liegt das Verfahren nun beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim. Ausgang: ungewiss.
Demnächst könnte der Rechtsstreit um das Schachtkraftwerk weitere Brisanz erhalten: Wie aus informierten Kreisen zu hören ist, gibt es offenbar konkrete Pläne, die Renaturierung des betreffenden Illerbereichs in die Wege zu leiten. Die Absprachen zwischen den Ländern Bayern und Baden-Württemberg seien in der Sache weit vorangeschritten, auch wenn es um die Bereitstellung der Gelder geht.
Das will man beim bayerischen Umweltministerium auf Anfrage nicht bestätigen. Vorgesehen seien weitere Renaturierungsmaßnahmen allerdings sehr wohl: Bayern und Baden-Württemberg wollen die Iller gemeinsam aufwerten, heißt es. Vorgesehen sei der Bereich zwischen dem Beginn der gemeinsamen Grenze der Bundesländer (bei Flusskilometer 56,725) und der Mündung in die Donau. Die Grundlage bilde ein neues Gewässerentwicklungskonzept. Im Zuge der Maßnahmen sollen die Durchlässigkeit verbessert und das Gewässer für Besucher erlebbar gemacht werden. Das Musterbeispiel: Vöhringen. Dort wurde der Fluss von 40 auf 60 Meter verbreitert und Kiesbänke angelegt. Die Renaturierung gilt im Ministerium offenbar als wichtig: „Die naturnahe Gestaltung der Iller ist ein Garant für hohe Lebensqualität in der Region“, lässt man wissen.
Das länderübergreifende Vorhaben könnte den ausstehenden Gerichtsbeschluss zu dem Kraftwerk im Sinne der Kläger beeinflussen, hoffen die Gegner. Der Disput um das Werk erhalte so einen neuen Aspekt, heißt es. In den scheint mancher Kritiker große Hoffnung zu setzen.