Ein Medizinmann für Romeo und Julia
Die südafrikanische Company „Moving Into Dance Mophatong“adaptiert die Handlung provokant
Ulm „Ich kann all eure Probleme lösen“: Mitten durch die Zuschauerränge geistert eine verschleierte Gestalt, die dann auf der Bühne unter der Skyline von Johannesburg ihre uralten Rituale vollzieht: Eine provokante Adaption der bekanntesten Liebestragödie der Welt unternimmt die südafrikanische Newcomer-Choreografin Jessica Nupen im Fokus von „Romeo and Juliet“zum Brennpunkt „Rebellion & Johannesburg“. Das Gastspiel der Company „Moving Into Dance Mophatong“pulsierte im Ulmer Theater als subkulturelles Kraftpaket zeitgenössischen Tanztheaters zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Bei Shakespeare sind es rauflustige Straßenszenen einer hitzigen Familienfehde. Bei Nupen die Händel der Nacht unter den Straßengangs, die den Konfliktbogen – vom Skript des mittelalterlichen Verona aus – ins heutige Johannesburg transportieren. Diese auf sozialem Hintergrund zwischen Überlieferung und Umbruch pendelnde südafrikanische Perspektive kommuniziert die junge Choreografin mit klassischen, zeitgenössischen und traditionellen Tanzelementen zu bild- und diskursstarken Bewegungs-Kreationen einer zwiespältigen Lebenswirklich- keit. Acht Protagonisten – zwei Frauen und sechs Männer – bespielen in einem mitreißenden MultiMedia-Durchlauf die Herausforderungen und Ungewissheiten im Leben junger Südafrikaner im Kampf um Selbstfindung und emotionales Überleben.
Dieses Spannungsfeld der PostApartheids-Ära reflektieren drei in- einander verquirlte Produktionsebenen. Auf vibrierende Bilderfluten von Großstadt-Architektur, Township-Milieu, Streetdance-Gelüste und Savannen-Landschaft der großformatigen Videoleinwand reagieren die ausdruckstänzerisch und elektrisierten Akteure wie entfesselt zwischen zwei afrikanischen Stelen: bunt wie ein Basar, geräumig wie eine Umkleidekabine, beengend wie ein Käfig, mythosgetränkt wie ein blauer Smaragd. Die Tagespresse spuckt das tägliche Motto aus zum Überleben in harten Zeiten. „Stop mining in our land.“Der Medizinmann, der will nichts untergraben. Er schwört auf Naturheilkräfte gegen Ängste, Krankheiten oder Impotenz. Ob das was nützt?
Mülltüten blähen sich unter den Geschwadern der Zugvögel. Die muskelbepackten und von der Johannesburger Kostüm-Designerin Anmari Honiball ebenso malerisch wie schrill gekleideten Akteure schnattern, pfeifen und tänzeln auf dem Laufsteg. Der verhüllte Sangoma, ein südafrikanischer Medizinmann, salbt zur Willenlosigkeit: Romeo und Julia erwachen aus der Starre zum Pas de deux. Auf der Leinwand tropft über zwei riesenhaften Händen der rote Saft des Lebens ab.
Szenenwechsel zur Tragikomödie: Plastikeimer verwandeln sich vom Fortbewegungsgerät zum Kopfputz. Die Performance multipliziert sich im Musikmix Spoek Mathambo, der klangstark aus den Lautsprechern quillt: Pogo, Techno, Rap, Rockgitarre, Klagelied. Und diese afrikanischen Shuffles aus dem Soundlabor des „Prince of Township Tech“jagen nicht nur diesen fabelhaften südafrikanischen Bewegungskünstlern durch die Beine. Im Schlussapplaus lächelt die Compagnie Arm in Arm ihr Publikum an – ihre blonde Choreografin in der Mitte. Ein schönes Bild. Beim musikalisch-literarischen Abend in Weißenhorn spielte das Klavierduo Sabine Süß und Ute Sagawa vierhändig Werke – von Mozart bis Brahms. Ulrich Scheinhammer-Schmid las passend dazu Texte zu den Komponisten.