Der gereizte Herr Gabriel
Wieder einmal kanzelt der SPD-Chef eine Journalistin ab – und schlägt auch sonst erstaunliche Töne an
Berlin „Nichts von dem, was Sie sagen, ist richtig.“Sigmar Gabriel steht unter Strom – und Bettina Schausten kommt ihm da gerade recht. Als die ZDF- Frau wissen will, warum er in der Flüchtlingsdebatte andere Töne anschlägt als die Kanzlerin, beschwert der SPD-Chef sich erst einmal über die merkwürdige Frage, die ihm da gestellt werde, fällt der Journalistin dann mehrfach ins Wort und erregt sich immer wieder neu über den Zoff zwischen CDU und CSU, den die Koalition im Moment nun wirklich nicht gebrauchen könne. Nur eines verrät Gabriel nicht: Was Angela Merkel und ihn gerade trennt – und was nicht.
Wie ein ähnliches Gespräch mit Marietta Slomka im „Heute-Journal“ist auch dieses Interview im Internet schon jetzt ein Renner, was aber weniger an dem Thema liegen dürfte als an Gabriels Art, Journalisten anzuraunzen. Am Ende, als die Moderatorin ihn mit einem „herzlichen Dank“verabschiedet, sagt er noch maliziös „gerne“– und lässt nach einer kurzen Pause noch ein nicht minder spöttisches „bitte, Frau Schausten“folgen. Noch deutlicher war er vor knapp zwei Jahren bei Marietta Slomka geworden: „Es ist nicht das erste Mal, dass Sie in Interviews mit Sozialdemokraten nichts anderes versuchen, als uns das Wort im Mund umzudrehen.“Damals stand der Parteichef mächtig unter Druck, weil er die SPD von den Vorteilen einer Großen Koalition überzeugen musste. Nun ist es offenbar die Frage, wie Deutschland mit dem nicht enden wollenden Strom an Flüchtlingen umgeht, die ihn dünnhäutig werden lässt.
Anders als die Kanzlerin, die von sich sagt, es liege nicht in ihrer Macht, wie viele Flüchtlinge kämen, will Gabriel genau das: Eine Art Obergrenze, die er auch schon skizziert hat. „Jeder weiß, dass wir überfordert sind, wenn wir jedes Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge aufnehmen“, sagt er. Im Umkehrschluss bedeutet das: Nächstes Jahr müssen es weniger werden. Für eine Partei, die das Asylrecht immer etwas leidenschaftlicher verteidigt hat als die Union, sind das bemerkenswerte Töne. Während Merkel stereotyp ihren Slogan „Wir schaffen das“verteidigt, gibt Gabriel den Zweiflern eine Stimme. Gerade erst hat er mit Außenminister Frank- Walter Steinmeier ein Plädoyer für einen neuen Realismus veröffentlicht, zu dem auch Abschiebungen im größeren Stil gehören. Er wirft der Union Hilflosigkeit vor und warnt vor übertrieben idealistischen Vorstellungen: „Natürlich wird es auch Konflikte geben.“So kämen viele Jugendliche mit massiver Gewalterfahrung in die Bundesrepublik. „Das kann Probleme bringen mit Polizei, Justiz, Jugendämtern.“Schon Anfang Oktober hatte er gewarnt: „Wir nähern uns den Grenzen unserer Möglichkeiten.“
Er will die Schwäche der Union nutzen, nur wie?
Die ungeschminkte, nichts beschönigende Art ist Teil des Versuches, die SPD wieder stärker in der Mitte zu verankern und in der Flüchtlingsdebatte auch die Wähler der Union anzusprechen. Knapp zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl kommt die SPD in den Umfragen zwar noch nicht über ihr letztes Ergebnis von 25,7 Prozent hinaus, zum ersten Mal allerdings zeigt die Union kleine Zeichen von Schwäche. Merkels Popularitätswerte sind etwas zusammengeschnurrt, und statt bei mehr als 41 Prozent liegen die C-Parteien nur noch bei 38 bis 39 Prozent. „Wer die Mitte scheut, wird nicht gewinnen“, hat Gabriel am Wochenende bei einem Parteikongress in Mainz denn auch gewarnt, dabei aber die Kanzlerin in Schutz genommen: „Die Antworten, die sie zu geben versucht, sind uns Sozialdemokraten in diesen Tagen offenbar deutlich sympathischer als weiten Teilen ihrer Partei.“
Gabriel versucht, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen: In der Asylpolitik nicht so konservativ zu wirken wie die CSU – gleichzeitig aber Kapital aus Merkels schwammigem Kurs zu schlagen, sich also irgendwo zwischen den beiden Extremen zu verorten. Und wie bei der Journalistin Schausten darf auch bei der Kanzlerin ein Schuss Spott nicht fehlen: So lange sie weiter sozialdemokratische Politik mache, frotzelt Gabriel, „geben wir Frau Merkel auch Asyl in unserer Partei“.