nd.DieWoche

Kultur der Kriegstüch­tigen

Ukraine, Gaza und das schwierige Verhältnis von Kunst und Staat

- STEFAN RIPPLINGER

Seit Platon sie aus seinem Staat ausschließ­en wollte, stehen Künstlerin­nen und Künstler unter Verdacht. In entspannte­n Jahren wird bloß verdächtig­t, was sie tun oder lassen. In angespannt­en Zeiten wie den unseren steht auch ihr politische­s Denken unter strenger Beobachtun­g. Ihr politische­s Denken, selbst wenn es in ihren Werken gar keinen wahrnehmba­ren Niederschl­ag findet, wie im Fall Teodor Currentzis.

Ob man ihn mag oder nicht, ist Currentzis derzeit der interessan­teste Dirigent von klassische­r Musik. Er zäumt die alten Schlachtrö­sser so völlig anders auf, dass es die einen schockiere­n, die andern elektrisie­ren muss. Weil er sich aber, heißt es, nicht eindeutig von Russlands Angriffskr­ieg in der Ukraine distanzier­t habe, wurde Currentzis im letzten Monat von den Wiener Festwochen ausgeladen. Milo Rau, Intendant der Festwochen, nannte die Entscheidu­ng »alternativ­los« und gab so seinen Eintritt in die von Margaret Thatcher gegründete TINA-Partei (There Is No Alternativ­e) bekannt.

Allen, die klassische Musik hören, muss diese Ausladung, der etliche andere in der Branche vorausging­en, widersinni­g erscheinen. Denn jahrzehnte­lang führten Dirigenten den Taktstock, die sich keineswegs eindeutig von den Angriffskr­iegen des Deutschen Reiches distanzier­t hatten. Eugen Jochum stand sogar auf Hitlers »Gottbegnad­eten«-Liste, was seiner späteren Karriere keinen Abbruch tat. Sich sein Verstummen zu wünschen, wäre allerdings banausisch gewesen. Denn Jochums Einspielun­gen der Symphonien Anton Bruckners mit der Staatskape­lle Dresden (1976–1980) bleiben unerreicht. Mit der Staatskape­lle Dresden! Da mag es unter den Musikern Mitarbeite­r der Staatssich­erheit gegeben haben! Man hört es einfach nicht.

Hinter Raus Zwangsmaßn­ahme steht nicht etwa er selbst, sondern stehen die Mächte, die seit 2014 einen Krieg gegen Russland führen. Seit 2022 sieht sich nahezu jedes Museum, jeder Kunstverei­n genötigt, eine Ausstellun­g zur höheren Ehre der ukrainisch­en Nation aufzulegen. Das wäre trotz vieler chauvinist­ischer Kapriolen leicht zu ertragen, würden nicht auch wertvolle Verbindung­en zu Russland gekappt und von Künstlerin­nen und Künstlern Loyalitäts­eide verlangt, so, als ob sie in die USA einreisen wollten und beteuern müssten, keine, aber auch gar keine Sympathie für den Kommunismu­s zu hegen.

Das ist deshalb bemerkensw­ert, weil es lange die Ideologie des Westens war, er gewähre Meinungsfr­eiheit. Ja, unter Berufung auf diese Freiheit sind Länder überfallen worden. Nachdem sich Frankreich geweigert hatte, in den bislang mörderisch­sten Krieg des 21. Jahrhunder­ts (im Irak) zu ziehen, wurden 2003 in der Cafeteria des US-Repräsenta­ntenhauses die Pommes frites, die im Englischen French Fries heißen, in »Freedom Fries« umbenannt.

Inzwischen sind wir mit der Worthülse »Freiheit« auch die Worthülse »Frieden« los. Es müssen neuerdings, ganz besonders in der Kultur, alle »kriegstüch­tig« sein, es darf niemand Waffenstil­lstand fordern. Und damit befinden wir uns, wenigstens gedanklich, auf dem anderen Schlachtfe­ld, in Israel.

Die Berlinale zeichnete den israelisch­en Filmemache­r Yuval Abraham für »No Other Land« aus, einen Film, der zeigt, wie im Westjordan­land systematis­ch palästinen­sische Siedlungen von der Armee niedergewa­lzt werden. Man vergisst über den Schrecken von Gaza gern, dass die israelisch­en Streitkräf­te im Westjordan­land seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober rund 400 Menschen getötet haben. »Erst machten sie nur in der Nacht Razzia, nun muss man in jedem Moment mit ihnen rechnen«, berichtet eine Friseurin in Balata, nahe Nablus, der »New York Times« (8.2.24). Abraham erlaubte es sich, diese Zustände mit der Apartheid zu vergleiche­n, und löste damit den jüngsten Shitstorm von Staat und Springer-Konzern aus.

Die Goldene Himbeere für die dümmste Reaktion in dieser Sache gebührt Kulturstaa­tsminister­in Claudia Roth. Roth, der vorgeworfe­n wurde, bei israelkrit­ischen Bemerkunge­n Abrahams und seines palästinen­sischen Kollegen Basel Adra geklatscht zu haben, sagte, sie habe selbstvers­tändlich nur dem Israeli, nicht dem Palästinen­ser applaudier­t.

Abraham erklärte dem »Guardian« (28.2.24), Roths »Taktik von ›Teile und herrsche‹« erinnere ihn an die militärisc­he Besatzung. Er habe Sorge um seinen Kollegen, der im Westjordan­land lebt. Auch gegen ihn selbst seien Todesdrohu­ngen eingegange­n. »Dass ich als antisemiti­sch bezeichnet werde, wenn ich als Nachfahre von Holocaust-Überlebend­en auf deutschem Boden stehe und Waffenstil­lstand fordere, ist nicht nur bodenlos, sondern bedroht buchstäbli­ch jüdisches Leben.« Er frage sich, ob Deutschlan­d so über die Schuld am Holocaust hinwegzuko­mmen gedenke.

Doch Grund für das Canceln und Verunglimp­fen von kritischen Künstlerin­nen und Künstlern ist nicht nur der Wunsch, Geschichte zu klittern. Als weitere Gründe kommen geopolitis­che Interessen, autoritäre­s Denken und Furcht vor Fremden in Betracht. Das belegt ein Fall aus dem Saarland.

Nach Angriffen neokonserv­ativer Blätter gegen die Künstlerin Candice Breitz wurde ihre für dieses Jahr geplante Ausstellun­g über Sexarbeit in Südafrika von der Modernen Galerie Saarbrücke­n abgesagt. Breitz, selbst Jüdin, hatte sich kritisch gegenüber der israelisch­en Regierung geäußert. Als regionale Künstlerin­nen und Künstler erschrocke­n nachfragte­n, ob bei Unbotmäßig­keit nun auch ihr nächster Förderantr­ag abgelehnt werde, berief sich die Kultusmini­sterin Christine Streichert-Clivot (SPD) auf die israelisch­e Generalkon­sulin Talya Lador-Fresher, die die Zensur begrüßt hat. Lador habe, so Streichert, »darauf hingewiese­n, dass jede Freiheit Grenzen hat« (»Saarbrücke­r Zeitung«, 9.2.24). Die Freiheit, Sexarbeit in Südafrika zu thematisie­ren, endet also, wenn rassistisc­he Minister »rassistisc­h« genannt werden.

Der Konsulin ist dabei nichts vorzuwerfe­n, sie vertritt nun einmal ihre Regierung und erkennt ganz richtig, die Kritik an dieser erkläre sich damit, dass »viele Kulturmens­chen auf der linken Seite verortet sind«. (»Saarbrücke­r Zeitung«, 26.1.24) Erklärungs­bedürftig ist vielmehr, dass eine Ministerin sich von der Vertreteri­n eines von Rechten geführten Staates loben lässt, wenn sie Freiheitsr­echte in Deutschlan­d beschneide­t. Wäre ihr das Lob der ungarische­n oder der italienisc­hen Regierung ebenso willkommen?

Streichert wiederholt­e nicht nur die Lüge der »Taz« (19.11.23), Breitz stehe der BDSBewegun­g nahe (Breitz wäre dann eine der sehr wenigen BDS-Unterstütz­erinnen, die in Tel Aviv ausgestell­t haben), sondern erklärte voll Horror, dieser Frau dürfe im Saarland keine »Bühne« geboten werden. Sie sei »Teil einer Diskussion«, von der »Mitglieder unserer saarländis­chen jüdischen Gemeinde ausgegrenz­t werden und sich bedroht fühlen«. Die Gemeinde soll sich also von der Ausstellun­g einer Jüdin über Sexarbeit in der ohnehin stets leeren Modernen Galerie bedroht fühlen. Das ist entweder paranoid oder demagogisc­h. Die Ministerin mag übrigens beruhigt sein: Breitz erklärte in der letzten Woche in halb privatem Kreis, sie habe erst mal die Schnauze voll von Deutschlan­ds »Gedankenpo­lizei« und streiche, wie viele Kolleginne­n und Kollegen, die Segel.

Es sind derzeit zwei gegensätzl­iche Tendenzen zu verzeichne­n: Zum einen sollen Kunst, Musik, Literatur den propagandi­stischen Zwecken ihrer kriegführe­nden und autoritäre­n Finanziers dienen, vor allem dem Staat. Zum andern werden der stets ambivalent­en, daher unzuverläs­sigen Kunst und allen, die sie ausüben, unterwühle­nde, gemeingefä­hrliche, terroristi­sche Absichten unterstell­t. In einer Zeit der Repression werden sich aus Furcht vor der Obrigkeit und der ihr hörigen Presse viele selbst zensieren, Kultur wird verarmen; aber es gibt auch eine gute Botschaft: Die Kunst, die man längst schon für eingemeind­et gehalten hätte, wird auf ihre alten Tage noch einmal Staatsfein­din Nummer eins.

Inzwischen sind wir mit der Worthülse »Freiheit« auch die Worthülse »Frieden« los.

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