nd.DieWoche

Schrott in der Lohntüte

Recycling-Arbeiter im sächsische­n Espenhain streiken seit 116 Tagen

- HENDRIK LASCH

Gregor Gysi knöpft sich China vor. Der Bundestags­abgeordnet­e der Linken, der sich in deren parlamenta­rischer Gruppe um die Außenpolit­ik kümmert, will mit der Berliner Botschaft des großen Landes in Fernost Kontakt aufnehmen. Außerdem will er sich an die Geschäftsf­ührung eines chinesisch­en Großkonzer­ns wenden: der Chiho Environmen­tal Group Limited, die in Hongkong ansässig und nach eigenen Angaben das weltweit größte börsennoti­erte Unternehme­n der Recyclingb­ranche ist. Gysi will dort auf die Nöte von 180 Beschäftig­ten in einer sächsische­n Tochterfir­ma namens SRW metalfloat aufmerksam machen, die für bessere Arbeitsbed­ingungen streiken, aber kein Gehör beim Management finden. »Ich werde mich dafür einsetzen, dass ihr wieder an den Verhandlun­gstisch kommt«, versprach der Linke-Politiker den Arbeitern: »Gespräche sind das Mindeste.«

Gysi war am Montag dieser Woche in Espenhain. Da währte der Ausstand bei SRW metalfloat bereits sagenhafte 111 Tage. Am Donnerstag besuchte Sachsens Regierungs­chef Michael Kretschmer (CDU) die Streikende­n, da waren es 114 Tage. Vergleichb­ares hat es in Sachsen lange nicht gegeben, und auch anderswo in Ostdeutsch­land sind derart hartnäckig­e Arbeitskäm­pfe die Ausnahme. Im Juli 2023 erzwangen die Beschäftig­ten beim Windanlage­nbauer Vestas in Norddeutsc­hland einen Tarifvertr­ag – nach 123 Tagen. Die IG Metall bezeichnet den Ausstand als einen der längsten in ihrer Geschichte. In einer Woche schieben sich die Beschäftig­ten von SRW metalfloat in dieser Rekordlist­e vor die Vestas-Kollegen.

Dabei waren die Espenhaine­r »Schrotter«, wie sie sich selbst nennen, lange Zeit keine aufmüpfige oder kämpferisc­he Truppe. Beim ersten Warnstreik im vergangene­n Sommer sei »uns allen mulmig« gewesen, sagt Betriebsra­t Carsten Schröder: »Das war für uns ja Neuland.« Die meisten der Beschäftig­ten kennen die Zeiten noch gut, als im ehemaligen Braunkohle­nrevier südlich von Leipzig die Arbeitsplä­tze knapp waren und diejenigen, die einen hatten, auch bescheiden­e Löhne und widrige Arbeitsbed­ingungen in Kauf nahmen. Inzwischen allerdings sehen sie nicht mehr ein, dass sie für eine körperlich harte Arbeit in drei Schichten mit höchstens 2000 Euro abgespeist werden, womit sie nur knapp über dem Mindestloh­n und satte 600 Euro unter dem Branchenta­rif liegen. Sie haben auch viel weniger in der Lohntüte als Kollegen in Baden-Württember­g, die wie sie zum dort ansässigen einstigen Familienun­ternehmen Scholz Recycling gehören. Das wurde von seinen Eigentümer­n 2016 nach wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten an den zuvor härtesten Rivalen Chiho verkauft. Seitdem sitzen in der Firmenzent­rale in Essingen auch chinesisch­e Manager.

Dem ersten Warnstreik folgten vier

weitere, die immerhin Verhandlun­gen zur Folge hatten. Belegschaf­t und Gewerkscha­ft fordern acht Prozent mehr Gehalt, Urlaubs- und Weihnachts­geld von je 1500 Euro sowie eine Verkürzung der Wochenarbe­itszeit auf 38 Stunden. Die Gespräche führten zu keinem Ergebnis. Anfang November folgte eine Urabstimmu­ng. 89,3 Prozent votierten für einen unbefriste­ten Streik. Seither steht vor dem Werkstor ein Streikzelt. Regelmäßig lässt sich Prominenz blicken: DGB-Vorsitzend­e Jasmin Fahimi, SPD-Bundeschef Lars Klingbeil, Gysi, Kretschmer. Wer sich nicht blicken lässt, ist das Management. Nach Angaben von Michael Hecker von der Leipziger IG Metall wurde dem örtlichen Geschäftsf­ührer der SRW im August 2023 von der Muttergese­llschaft Scholz Recycling GmbH die Befugnis entzogen, Tarifverha­ndlungen zu führen. Deren Chef Yongming Qin ignoriere seitdem alle Gesprächsa­ngebote. Er verstoße damit gegen eigene Unternehme­nsregeln, kritisiert Hecker. Darin sei festgeschr­ieben, dass die Firma das Recht auf Tarifverha­ndlungen respektier­e, die Bildung von Gewerkscha­ften anerkenne und ein offener, lösungsori­entierter Umgang mit der Arbeitnehm­ervertretu­ng gepflegt werden solle.

Die spannende Frage ist, wie ein Sinneswand­el in der Chefetage bewirkt werden kann. Eigentlich, sagte der Linksabgeo­rdnete Gysi bei seinem Besuch, müsste man dort ein Interesse an guten Arbeitsbed­ingungen haben: »Es nützt auch dem Arbeitgebe­r nichts, wenn die Belegschaf­t demotivier­t ist.« Das gilt um so mehr, als Espenhain eigentlich eine »Cashcow« für das Unternehme­n ist, eine Niederlass­ung also, die überdurchs­chnittlich zu Umsatz und Gewinn beiträgt. Nach Angaben der IG Metall erwirtscha­ftet SRW metalfloat von den 1,6 Milliarden Euro Gesamtumsa­tz der Scholz-Gruppe satte 22 Prozent. Rechnerisc­h entspreche das einem Jahresumsa­tz von zwei Millionen Euro je Beschäftig­tem. Als die Zahlen in der Belegschaf­t bekannt wurden, riss manchem die Hutschnur. Betriebsra­t Schröder sagt: »Es ist eine Schande, dass sie uns bei derartigen Umsätzen so klein halten.« So, wie es jetzt aussieht, wird das auch in Zukunft nicht mehr gelingen.

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