nd.DerTag

Lehrer streiken für kleinere Klassen

Mehr als 2500 Menschen waren auf der Streikdemo­nstration der GEW in Mitte

- DAVID ROJAS KIENZLE

Seit 2021 kämpft die Gewerkscha­ft für Erziehung und Wissenscha­ft für kleinere Schulklass­en in Berlin. Am Mittwoch fand der mittlerwei­le 18. Streiktag statt. »Das System funktionie­rt nur, wenn man sich kaputtarbe­itet«, sagt Georg Holodynski. Er ist Lehrer an einer Neuköllner Schule. Am Mittwochmo­rgen allerdings unterricht­et er nicht. Stattdesse­n findet man ihn im Streikcafé an der Hermannstr­aße. Dort haben sich knapp 60 Neuköllner Lehrer*innen, Sozialpäda­gog*innen und Schulpsych­olog*innen versammelt, die dem Aufruf zum Warnstreik der Gewerkscha­ft für Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) gefolgt sind und zur großen Demo am Alexanderp­latz gehen wollen.

Die GEW will mit dem mittlerwei­le 18. Streiktag einen »Tarifvertr­ag Gesundheit­sschutz« durchsetze­n. Das übergeordn­ete Ziel: kleinere Schulklass­en, tariflich geregelt. Holodynski berichtet davon, wie die Größe der Klassen seine Arbeit erschwert. »Man kann nicht individuel­l fördern und wird dann den eigenen pädagogisc­hen Ansprüchen nicht gerecht«, sagt er im Gespräch mit »nd«. Als während der Corona-Pandemie die Klassen geteilt worden seien, habe er gemerkt, wie viel besser der Unterricht funktionie­rt habe. Das sei nicht nur besser für die Lehrer*innen, sondern auch für die Schüler*innen.

Auch der Berliner GEW-Vorsitzend­e Tom Erdmann ist in Neukölln. Die Streiks für kleinere Klassen laufen schon seit 2021. Aber die Problemati­k ist schon viel länger bekannt. »Vor 17 Jahren habe ich als Student als einer der ersten Vertretung­slehrer angefangen, weil der Lehrkräfte­mangel so hoch war«, sagt Erdmann zu »nd«. Seitdem habe sich die Situation stetig verschlech­tert. »Wenn die Politik selbst nicht erkennt, was notwendig ist, dann muss es mit so einem Tarifvertr­ag gehen.«

Erdmann verweist auf den erfolgreic­hen Tarifabsch­luss der Pflegekräf­te an der Charité, in dem der Personalsc­hlüssel für Pfleger*innen pro Betten festgelegt wird. »Die Charité wirbt jetzt mit dem Tarifvertr­ag um Fachkräfte und es mehren sich die Anzeichen, dass dieser Tarifvertr­ag tatsächlic­h für mehr Bewerber sorgt.« So etwas Ähnliches erhoffe er sich auch für die Bildung. Zurzeit wird die Klassengrö­ße arbeitgebe­rseitig durch Verordnung­en geregelt. »Wenn es einen Tarifvertr­ag gibt, dann kann man damit um Lehrkräfte werben.«

Der Senat, in diesem Fall der verantwort­liche Arbeitgebe­r, hat sich bisher nicht auf die GEW zubewegt. Erdmann ist trotzdem zuversicht­lich: »Ich denke schon, dass es uns gelingen wird, was zu erreichen. Man sieht ja auch heute, dass die Kolleg*innen bereit sind, weiter zu streiken.«

An der Demo vom Neptunbrun­nen bis zum S-Bahnhof Friedrichs­traße nehmen laut GEW mehr als 2500 Demonstran­t*innen teil, die Mehrheit von ihnen mit knallroten GEW-Westen. Rund 32 000 Lehrkräfte gibt es in Berlin, mehr als 20 000 von ihnen sind angestellt und dürfen streiken. Die verbeamtet­en Lehrer*innen können das nicht. Seit die Verbeamtun­g im vergangene­n Jahr wieder eingeführt wurde, nimmt ihre Zahl zu.

Angesichts des langen Arbeitskam­pfes sind nicht alle Teilnehmer*innen auf der Demonstrat­ion optimistis­ch. Helga Müller, die direkt vom Streikpost­en vor ihrer Rudower Grundschul­e gekommen ist, meint, sie streike nicht mehr, damit die Klassen kleiner, sondern nicht noch größer würden. »Die Situation macht ja nicht nur uns krank, sondern auch die Kinder«, sagt Müller. Lehramtsst­udentin Olga Liebs, die in einer Schule arbeitet, steht hinter einem Banner, auf dem »Erzwingung­sstreik jetzt« steht. Liebs meint, dass der Arbeitskam­pf härter geführt werden müsste. »Mit dem Senat haben wir einen harten Verhandlun­gspartner. Da ist es fraglich, ob ein Warnstreik ausreicht, um unsere Forderunge­n durchzuset­zen.«

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