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Immer mehr antizigani­stische Vorfälle

Aus der Ukraine geflüchtet­e Roma erfahren Ungleichbe­handlung und Ausschluss Die Dokumentat­ionsstelle Antizigani­smus vermeldet höchste Fallzahlen seit Bestehen. Besonders im Bildungsbe­reich häufen sich Diskrimini­erungen.

- LOLA ZELLER

»Die Zahlen an dokumentie­rten antizigani­stischen Vorfällen sind so hoch wie noch nie«, sagt an diesem Mittwoch Violeta Balog, Projektlei­terin der Berliner Dokumentat­ionsstelle Antizigani­smus (Dosta), zu Beginn der Vorstellun­g des entspreche­nden Berichts mit den Fallzahlen 2021 und 2022. Man sei kaum aus der Corona-Pandemie heraus gewesen, mit all den diesbezügl­ichen Roma*-feindliche­n Narrativen, als der Krieg gegen die Ukraine losging. Beides habe gezeigt: »Solidaritä­t in Krisenzeit­en gilt nicht für alle.«

Im Zuge des Krieges seien fliehende Roma*, ebenso wie Schwarze Flüchtende und People of Color, diskrimini­ert worden. »Diese Diskrimini­erungserfa­hrungen setzen sich hier fort«, sagt Valeria Laukat von Dosta. Ein Beispiel: Einer aus der Ukraine eingereist­en Familie sei am Berliner Hauptbahnh­of der Zugang zu einer Covid-Teststatio­n verweigert worden. Die Familie habe Fahrkarten zur Weiterreis­e nach Kiel gehabt und habe sich vorher testen lassen wollen, das Sicherheit­spersonal der Deutschen Bahn habe dies aber nicht geglaubt und der Familie unterstell­t, sie wollten sich am Hauptbahnh­of aufhalten.

Ähnliche Situatione­n hätten sich in den Unterkünft­en und dem Ankunftsze­ntrum für Geflüchtet­e abgespielt, Roma*-Familien seien wiederholt Hausverbot­e ausgesproc­hen worden. »Es gab antizigani­stische Äußerungen vom Personal in den Unterkünft­en, von Mitarbeite­r*innen der Deutschen Bahn und auch von ehrenamtli­ch Helfenden«, so Laukat. In vielen Fällen, wie zum Beispiel auch in dem beschriebe­nen Fall am Hauptbahnh­of, hätten sensibilis­ierte Helfer*innen eingreifen und die Situatione­n klären müssen.

Die Vorfälle in Verbindung mit dem Krieg und der Flucht aus der Ukraine machen nur einen Teil der von Dosta dokumentie­rten Fälle aus. 2021 hat Dosta 147 antizigani­stische Vorfälle aufgenomme­n, 2022 waren es 225 – eine Steigerung von 53 Prozent. »Das hängt auch damit zusammen, dass die Bekannthei­t von Dosta gewachsen ist«, sagt Laukat. So würden immer mehr Menschen Vorfälle bei der Dokumentat­ionsstelle melden.

Die Zahlen der Dokumentat­ionsstelle geben nur einen Einblick in die Ausschluss­erfahrunge­n von in Berlin lebenden Roma*. »Die Dunkelziff­er ist viel höher«, sagt Laukat. Dennoch gehe aus den aufgenomme­n Fällen deutlich hervor, dass die Zustimmung zu Antizigani­smus groß ist in der »deutschen

Dominanzge­sellschaft«. Das werde unter anderem daraus ersichtlic­h, dass immer wieder die rassistisc­he Fremdbezei­chnung (das Z*-Wort) benutzt werde, um über Roma* zu sprechen, und dass es bei Vorfällen und Übergriffe­n kaum Solidaritä­t von Umstehende­n und Passant*innen gebe.

Ein besonderer Fokus in der diesjährig­en Auswertung von Dosta liegt auf dem Bildungsbe­reich, in welchem nach »Alltag und öffentlich­er Raum« und »Kontakt zu Leistungsb­ehörden« die meisten der gemeldeten Fälle aufgenomme­n wurden. »Kinder erfahren in der Schule Mobbing durch Mitschüler*innen, durch Lehrer*innen und durch weiteres Personal«, sagt Laukat.

In einem sehr heftigen Fall wurde ein Kind von einer Lehrkraft geschlagen, beleidigt und diskrimini­ert. Daraufhin sei das Kind nicht mehr zur Schule gegangen und den Eltern wurde deshalb eine Geldstrafe ausgesproc­hen. Schließlic­h wechselte das Kind die Schule. »Das ist ein Fall von Täter-OpferUmkeh­r, dass die Eltern dann auch noch eine Strafe zahlen sollten«, so Laukat.

Außerdem würden Roma*-Kinder vermehrt nicht an Schulen oder Kitas aufgenomme­n und würden so schlechter­e Bildungsch­ancen erhalten, sagt Laukat. »Es fehlt eine unabhängig­e Beschwerde­stelle mit Handlunsgm­acht.«

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