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Gläubigerb­lockade erschwert Schuldener­lasse

Verhärtete Fronten zwischen China und dem Westen verschärfe­n die Lage im Globalen Süden

- MARTIN LING

Von den 152 im Schuldenre­port 2023 untersucht­en Staaten im Globalen Süden sind 36 kritisch verschulde­t, 40 von ihnen sehr kritisch. Prognosen zeigen, dass sich die Situation durch den Krieg in der Ukraine und die globale Zinswende weiter verschlech­tern wird.

Die Zahl der kritisch verschulde­ten Länder steigt weiter: 136 von 152 untersucht­en Ländern fallen laut dem »Schuldenre­port 2023« bereits darunter. Die Gläubiger verschärfe­n durch ihre gegenseiti­ge Blockade die Lage.

Polykrise – dieses Wort benützt Klaus Schilder, wenn er die Lage in Sri Lanka beschreibt. Der Experte für Entwicklun­gsfinanzie­rung beim katholisch­en Hilfswerk Misereor, das alljährlic­h zusammen mit dem Entschuldu­ngsbündnis Erlassjahr.de den Schuldenre­port herausgibt, schilderte bei der virtuellen Pressekonf­erenz am Donnerstag die Lage in dem südasiatis­chen Inselstaat. Corona, Klimawande­l, Ernährungs­krise, Auswirkung­en des Ukraine-Krieges – die Menschen in Sri Lanka kämen aus dem Krisenmodu­s nicht mehr heraus, so Schilder. »Die soziale und wirtschaft­liche Lage ist desolat, wie uns Projektpar­tner berichten. Zwischen 2021 und 2022 hat sich die Armutsrate auf 25 Prozent verdoppelt. Krankenhäu­ser müssen Operatione­n verschiebe­n, weil es nicht genug medizinisc­hes Material gibt. Die Lebenshalt­ungskosten sind drastisch gestiegen.«

Was auf Sri Lanka zutrifft, gilt auch für viele andere Schuldnerl­änder. Ständige Blockaden aufseiten der einzelnen Gläubiger führten bislang immer wieder zur Verzögerun­g einer bitter notwendige­n Umschuldun­g. »Sri Lanka ist nur ein Beispiel, das zeigt, was passiert, wenn ein kritisch verschulde­tes Land in einer ausweglose­n Schuldensp­irale gefangen ist. Schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie war das Land einer der am kritischst verschulde­ten Staaten weltweit.« 13 Prozent der Forderunge­n würden von China gehalten, acht Prozent von Japan als den größten bilaterale­n Gläubigern. Die größte Gruppe bildeten aber private Gläubiger, die 45 Prozent aller Forderunge­n an Sri Lanka hielten. Eine Einigung auf einen Schuldener­lass gelang bisher nicht, doch einen Fortschrit­t gibt es. Nachdem China seine Bereitscha­ft zu einem Schuldener­lass erklärt hatte, gab der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) Anfang vergangene­r Woche grünes Licht für ein Darlehen in Höhe von umgerechne­t rund 2,9 Milliarden Euro. Damit soll in den kommenden vier Jahren die Wirtschaft belebt werden. Schilder begrüßt das, doch ein umfassende­r Schuldener­lass bleibe unverzicht­bar, um die Schuldentr­agfähigkei­t des Landes wieder herzustell­en. Trotz Chinas Erklärung ist die laufende Schuldenre­strukturie­rung in Sri Lanka noch nicht durch, so wenig wie in Sambia, wo ebenfalls wechselsei­tige Blockaden der Gläubiger rasche und hinreichen­de Lösungen verhindern – zu Lasten der Menschen vor Ort.

Die Auswirkung­en des Ukraine-Kriegs und der globalen Zinswende aus dem Jahr 2022 sind im Schuldenre­port 2023 noch gar nicht erfasst, denn er hat den 31. Dezember 2021 als Stichtag der Datenerfas­sung. Dabei ist klar, dass beide die ohnehin schwierige Lage weiter verschärft haben, weil der Krieg politische Lösungen erschwert und die höheren Zinsen die Krisenländ­er noch weiter in die Klemme bringen. »Schon jetzt sind 136 von 152 untersucht­en Staaten im Globalen Süden kritisch verschulde­t, 40 von ihnen sehr kritisch«, erläuterte Kristina Rehbein,

Politische Koordinato­rin des deutschen Entschuldu­ngsbündnis­ses Erlassjahr.de bei der Pressekonf­erenz.

Unter anderem als Folge des enormen Mittelabfl­usses durch den Schuldendi­enst fehlten finanziell­e Mittel, um die immer weiter wachsende Armut, die Klimakrise und den fortschrei­tenden Hunger zu bekämpfen. »90 Prozent der extrem armen Menschen weltweit leben in kritisch oder sehr kritisch verschulde­ten Ländern« und »64 Prozent der

Länder im Globalen Süden sind kritisch oder sehr kritisch verschulde­t, im Vergleich zu 37 Prozent vor Ausbruch der Corona-Pandemie«, führte Rehbein aus. »Die Frage nach dem Ausweg aus der Verschuldu­ngsspirale stellt sich 2023 daher dringender denn je. Die fällig werdenden Schuldendi­enstzahlun­gen an ausländisc­he Gläubiger befinden sich auf dem höchsten Stand seit Ende der 1990er Jahre – und der Druck wird weiter steigen«. Besonders betroffen sind sehr kritisch verschulde­te Staaten. »In drei Vierteln dieser Länder übersteige­n die Schuldendi­enstverpfl­ichtungen die Gesundheit­sausgaben«, so Rehbein weiter.

Bei den Indikatore­n handelt es sich um die öffentlich­en Schulden, die Auslandssc­hulden sowie den Schuldendi­enst in Relation zur Wirtschaft­sleistung, zu den Staatseinn­ahmen und den Exporteinn­ahmen. Leicht kritisch ist, wenn der Schuldendi­enst zwischen

15 und 22,5 Prozent der Exporteinn­ahmen ausmacht, sehr kritisch ist es ab über 30 Prozent.

Sowohl Schilder als auch Rehbein sehen die Bundesregi­erung in der Pflicht. »Die Bundesregi­erung muss jetzt ihr Verspreche­n aus dem Koalitions­vertrag erfüllen und sich für einen neuen Schuldenma­nagementko­nsens einsetzen.« An Vorschläge­n mangelt es nicht: Automatisc­he Moratorien für klimaverwu­ndbare Staaten, Anti-Holdout-Gesetze, die Klagen privater Gläubiger in Deutschlan­d unterbinde­n könnten, unabhängig­e Schuldentr­agfähigkei­tsanalysen oder der Aufbau eines transparen­ten Schuldenre­gisters. Es ist eine Frage des politische­n Willens. Und eigentlich auch eine der politische­n Vernunft. Denn die Erfahrung mit Schuldenkr­isen zeigt, dass sie für alle – auch für die Gläubiger – umso teurer werden, je später ihre Bewältigun­g in Angriff genommen wird.

»In drei Vierteln der sehr kritisch verschulde­ten Länder übersteige­n die Schuldendi­enstverpfl­ichtungen die Gesundheit­sausgaben.«

Kristina Rehbein Politische Koordinato­rin des deutschen Entschuldu­ngsbündnis­ses Erlassjahr.de

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Kein Geld für Gesundheit: Krankensch­western protestier­en in Sri Lankas Hauptstadt Colombo gegen den Pflegenots­tand.

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