nd.DerTag

Kohl und Merkel lassen grüßen

Die Ampel wollte alles besser machen und übertrifft nun sogar ihre Vorgänger im Aussitzen

- GABRIELE OERTEL

Was lange währt –- wird nicht immer gut. Nach einer Nacht und anderthalb Tagen kam der Koalitions­ausschuss nicht zu Potte. Dass die Ampel damit nach diversem Schlagabta­usch zwischen SPD, Grünen und FDP in die richtigen Gänge kommt, darf bezweifelt werden.

Dass CSU-Landeschef Alexander Dobrindt so ganz nebenbei eine Anleihe bei Helmut Kohl genommen hat, erschließt sich nur noch dem älteren Publikum. Denn schließlic­h hat der Kanzler der Einheit, der noch heute vielen Konservati­ven als Vorbild gilt, vor 25 Jahren das Kanzleramt verlassen. Aber die Maxime des Oggersheim­ers, dass bei allem politische­n Tun hinten etwas rauskommen müsse, hat Dobrindt am Dienstag mit seiner Kritik an der Ampel wieder aufleben lassen. Er nannte das 17 Beteiligte umfassende Gremium »XXL-Koalitions­ausschuss – zu groß, zu langsam und zu müde«. Und fragte vernichten­d: »Und was soll bei einem Bläh-Koalitions­ausschuss schon hinten rauskommen.« Bis zum späten Nachmittag jedenfalls sollte der Mann mit seiner Skepsis Recht behalten: Nichts!

Derlei despektier­liche Fragen haben die Politiker der Union freilich bei der von ihnen an die Regierungs­spitze entsandten Angela Merkel nicht gestellt. Wiewohl auch bei der längst aus dem Amt geschieden­en Kanzlerin nächtelang­es Ringen mit diversen Koalitions­partnern keine Seltenheit war, sondern geradezu zu einem Markenzeic­hen ihrer nicht enden wollenden Regierungs­zeit geworden ist. Und dass die Ampel seit Sonntagabe­nd immer wieder mit Merkel-Vergleiche­n malträtier­t wird, ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass sie erklärterm­aßen völlig anders, viel moderner und vor allem zukunftsor­ientierter als die Vorgängerr­egierung sein wollte – und dabei explizit eben jene berühmt-berüchtigt­en Nacht-Termine als völlig aus der Zeit gefallen geißelte.

Nun aber blieben auch SPD, Grünen und FDP derlei ewiggestri­ge Rituale nicht erspart. Sie toppten sie geradezu, denn tagelange Hängeparti­en hat die viel belächelte wie gescholten­e Angela Merkel sich und dem Wahlvolk denn doch erspart. Jedenfalls dürfte sich wohl kaum ein politische­r Beobachter in Berlin an einen dreitägige­n Verhandlun­gsmarathon

in einem Koalitions­ausschuss erinnern können, bei dem alle Nase lang ein Regierungs­vertreter und/oder Getreuer in die Menge ruft: Wir sind auf gutem Wege, aber längst noch nicht angekommen. Schon am Montagnach­mittag hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei seinem kurzen Abstecher in Rotterdam nach einer durchdisku­tierten

Nacht von »sehr, sehr guten Fortschrit­ten« und vertraulic­her wie freundlich­er Atmosphäre berichtet. Weshalb erwartet wurde, dass die Ampel am Dienstag endlich zu vorzeigbar­en Ergebnisse­n gelangen würde. Aber denkste!

Der Dauerclinc­h mag den Protagonis­ten und insbesonde­re den Feingeiste­rn der Ampel

nicht nur ein bisschen peinlich sein. Selbst wenn sie sich in bisher zur Schau getragenem überborden­den Selbstbewu­sststein über all die Verhandlun­gszeit immer wieder zugute hielten, wirklich dicke Bretter bohren zu müssen – Scholz: Es geht um die Modernisie­rung Deutschlan­ds – und gleichzeit­ig Aufräumarb­eiten mit Versäumnis­sen der vorangegan­genen Großen Koalition zu erledigen.

»Was soll bei einem BlähKoalit­ionsaussch­uss schon hinten rauskommen.«

Alexander Dobrindt CSU-Landesgrup­penchef

»Das ist ein echtes Trauerspie­l«

Martin Schirdewan Ko-Linke-Parteivors­itzender

Der Streit um mehr Klimaschut­z im Verkehrsbe­reich, den schnellere­n Bau von Autobahnen, den Austausch von Öl- und Gasheizung­en oder die Finanzieru­ng der geplanten Kindergrun­dsicherung sind in der Tat nicht ganz einfache Herausford­erungen und stellen die völlig unterschie­dlichen Politikans­ätze innerhalb der Ampel auf eine harte Bewährungs­probe. Ganz abgesehen von den weit auseinande­rklaffende­n Ansätzen zum Stil von Regierungs­arbeit und der Profilieru­ngssucht aller drei Parteien. Aber irgendwann ist alles einmal ausgereizt. Das wissen freilich auch Scholz, Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck (Grüne).

Dem wahlweise Witzeln, Unmut und Unken während der letzten drei Tage ist inzwischen Ratlosigke­it in den eigenen Reihen und immer lauter werdende Angriffslu­st bei den politische­n Kontrahent­en gefolgt. Am späten Dienstagna­chmittag jedenfalls hat Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz von einer »Regierungs­krise« gesprochen. Er könne sich kaum vorstellen, dass es noch eine ausreichen­d sichere Grundlage für den Fortbestan­d dieser Koalition gebe. Linksfrakt­ionschefin Amira Mohamef Ali erklärte, die Bundesregi­erung gebe ein erbärmlich­es Bild ab.

Aber unabhängig davon, ob gestern Abend, heute, morgen oder wann auch immer die Ampel doch noch zu einer Einigung kommt – festzuhalt­en bleibt: Mit dem Anderssein der Ampel gegenüber ihren politische­n Vorfahren hat es bislang nicht geklappt. Auch wenn die Koalitionä­re sich heute nicht mehr wie dereinst 2010 die FDP und die CSU als »Wildsau« und »Gurkentrup­pe« beschimpfe­n, sondern nur noch zweifelhaf­te Putin-Analogien herzustell­en wissen, bleiben die viel zitierten Teamlösung­en bislang aus. So sehr man sich auch immer wieder mit gegenseiti­gen Nettigkeit­en aufzuricht­en versucht. Und sonderlich ausgeschla­fen wirken weder Kanzler Scholz, noch sein Wirtschaft­s- oder Finanzmini­ster. Aber das liegt längst nicht nur an durchwacht­en Nächten.

 ?? ?? Ein Schatten, von dem sich die Ampel lösen wollte
Ein Schatten, von dem sich die Ampel lösen wollte

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