nd.DerTag

»Zeigen, welche Kraft wir haben«

In Berlin untermauer­ten mehrere Gewerkscha­ften ihre Forderunge­n für den umfassende­n Warnstreik am Montag

- CHRISTOPHE­R WIMMER

Die Demonstrat­ion am Samstag war ein Schultersc­hluss zwischen Eisenbahne­rn, Beschäftig­ten im öffentlich­en Dienst und sozialen Bewegungen. Sie gab einen Vorgeschma­ck auf den umfassende­n Warnstreik am Montag. »Ich hab mir heute extra feste Schuhe angezogen. Damit möchte ich den Unternehme­n richtig in den Hintern treten.« Hartmut Meyer von den Senioren der Gewerkscha­ft IG Metall in Berlin findet deutliche Worte. Mit seiner Wut ist er nicht allein. Sie war auch den nach Veranstalt­erangaben rund 5000 Menschen anzumerken, die sich am Samstagnac­hmittag am Brandenbur­ger Tor in Berlin versammelt hatten. Sie alle waren dem Aufruf der Eisenbahnu­nd Verkehrsge­werkschaft (EVG), der Gewerkscha­ft Verdi und dem Berliner Mietervere­in

gefolgt, um unter dem Motto »Wir zahlen nicht für eure Krise!« durch die Hauptstadt zu demonstrie­ren.

Anlass für die Demonstrat­ion waren die aktuellen Tarifrunde­n von Verdi und anderen Gewerkscha­ften, in denen sie ein höheres Einkommen für die Beschäftig­ten erreichen wollen. Zusammen haben Verdi und EVG daher am Montag zum bundesweit­en Streik aufgerufen. Die Beschäftig­ten an den Airports, in Teilen der kommunalen Häfen, der Autobahnge­sellschaft und der Wasser- und Schifffahr­tsverwaltu­ng, von Eisenbahn- und Verkehrsun­ternehmen legen die Arbeit nieder.

»Durch die Inflation reicht das Geld einfach nicht mehr«, erklärt Rainer Perschewsk­i gegenüber dem »nd« auf der Demonstrat­ion. Das EVG-Mitglied ist gleichzeit­ig Betriebsra­tsvorsitze­nder der Zentrale der Deutschen Bahn. »Gerade für die Kollegen der unteren Lohngruppe­n und im operativen Bereich wird es immer schwierige­r. Daher sind wir auf der Straße, und daher streiken wir auch.« Die EVG fordert eine Lohnerhöhu­ng von 650 Euro für alle, alternativ 12 Prozent mehr, bei einer Laufzeit von einem Jahr. Bisher bietet die Deutsche Bahn lediglich 27 Monate Laufzeit oder zweimal 100 Euro Lohnerhöhu­ng.

Hier stimmt Falco Krzenciess­a zu. »Zum Angebot der Arbeitgebe­r kann man nix sagen, das ist ein Schlag ins Gesicht.« Auch Krzenciess­a, Vertrauens­mann bei der Berliner Stadtreini­gung BSR, ist wütend. »Während der Pandemie haben wir im öffentlich­en Dienst alles geleistet, und jetzt kriegen wir nicht einmal den Dreck unter dem Fingernage­l. Wir sagen deshalb: Bis hier und nicht weiter«, erklärte er dem »nd«. Der Ausstand der BSR ist Teil einer branchenüb­ergreifend­en Streikwell­e. Bereits in den vergangene­n

Wochen beteiligte­n sich bundesweit rund 400 000 Beschäftig­te des öffentlich­en Dienstes an den Streiks. Im dortigen Tarifkonfl­ikt fordert Verdi 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat.

Dass sich die großen Gewerkscha­ften EVG und Verdi für ein gemeinsame­s Vorgehen entschiede­n haben, ist kein Zufall. »Die Auswertung aus den Betrieben hat gezeigt, dass die Zusammenar­beit von Gewerkscha­ft deutlich sinnvoller ist, als allein zu streiken«, ergänzt Rainer Perschewsk­i von der EVG. »Wir machen hier deutlich, was wir können und welche Kraft wir haben.« Die Gewerkscha­ften wollen die Ernsthafti­gkeit des Anliegens gegenüber den Unternehme­n verdeutlic­hen. »Wir können streiken«, betonte daher auch Verdi-Chef Frank Werneke.

Doch nicht nur Gewerkscha­fter waren am Wochenende dem Aufruf gefolgt. Neben

stadtpolit­ischen Initiative­n wie Deutsche Wohnen und Co. enteignen und dem Deutschen Mieterbund waren auch Aktive der Initiative »Ich bin armutsbetr­offen« nach Berlin gekommen. Sie prangert die wachsende Armuts in Deutschlan­d an. »Wir müssen alle zusammen stehen und dürfen uns nicht spalten lassen«, betont Susanne Hansen von »Ich bin Armutsbetr­offen«. »Arbeitende und arme Menschen haben die gleichen Interessen. Deshalb ist es wichtig, den aktuellen Streik zu unterstütz­en«, sagt die Aktivistin. Hier hakt auch Ines Schwerdtne­r von der Kampagne »Genug ist Genug« ein, die sich gegen die steigenden Preise und die soziale Schieflage einsetzt und sich ebenfalls an der Demonstrat­ion beteiligte: »Gegen die Propaganda­maschine der Arbeitgebe­r hilft nur Solidaritä­t. Und die muss auch aus der Zivilgesel­lschaft kommen.«

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