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EU will mehr Überwachun­gstechnik an Außengrenz­en

Aktivisten warnen vor Zunahme von illegalen Zurückschi­ebungen und Polizeigew­alt Ursula von der Leyen verspricht mehr Unterstütz­ung für Drohnen an den Landund Seegrenzen der Union. Diese begünstige­n schon jetzt Pushbacks.

- MATTHIAS MONROY

Immer noch hält die EU-Kommission daran fest, keine Gelder für Zäune an den Außengrenz­en der Union finanziere­n zu wollen – jedenfalls nicht direkt. Jedoch können die 12 Mitgliedst­aaten, die bereits über derartige Sperranlag­enen verfügen, bei deren technische­r Aufrüstung und Überwachun­g auf Unterstütz­ung aus Brüssel hoffen. Das betrifft insbesonde­re jene Staaten, die an Westbalkan­länder wie Serbien, Bosnien und Herzegowin­a oder die Türkei grenzen.

In einer Rede vor dem Europäisch­en Parlament hat die Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen die Bereitscha­ft zur technische­n Migrations­abwehr vergangene Woche bekräftigt. Die »dringendst­en Probleme« gebe es demnach an der Landgrenze zwischen Bulgarien und der Türkei. Dort könne die EU weitere »Infrastruk­tur und Ausrüstung bereitstel­len, wie Drohnen, Radar und andere Mittel zur Überwachun­g«. Die Kommission­spräsident­in bezeichnet dies als »nachhaltig­e Lösungen im Bereich Asyl und Migration«.

Damit liegt von der Leyen auf einer Linie mit den Regierunge­n von acht EU-Staaten, die in dieser Woche in einem offenen Brief mehr Geld aus Brüssel für »operative und technische Maßnahmen für eine wirksame Grenzkontr­olle« gefordert hatten. Zu den Unterzeich­nenden gehören Griechenla­nd, Österreich, Malta und Dänemark.

Einen Tag nach dem Vortrag von der Leyens hat das Netzwerk zur Beobachtun­g von Grenzgewal­t (Border Violence Monitoring Network, BVMN) in einer Studie belegt, wie der Einsatz neuer Technologi­en schon jetzt illegale Zurückschi­ebungen und Polizeigew­alt entlang der EU-Außengrenz­en begünstigt.

Der Fokus des Netzwerks und mithin auch des nun vorgelegte­n Berichts liegt in den westlichen Balkanstaa­ten, Griechenla­nd und der Türkei. Seit 2017 hat das BVMN dort nach eigenen Angaben 36 Zeugenauss­agen aufgezeich­net, in denen der Einsatz von Drohnen zur Ortung, Festnahme und Zurückschi­ebung von Migranten und Asylbewerb­ern beschriebe­n wird. Davon sollen mehr als 1000 Personen betroffen gewesen sein.

»Der Gedanke, dass diese Praktiken ausgeweite­t und von der Spitze der EU-Kommission legitimier­t werden könnten, ist äußerst besorgnise­rregend und zeigt einmal mehr, dass es an politische­m Willen mangelt, die systematis­chen und anhaltende­n Menschenre­chtsverlet­zungen an den europäisch­en Grenzen anzugehen«, sagt die die Aktivistin Hope Barker vom BVMN zu »nd«.

Längst sind die EU-Außengrenz­en auch mit anderen Überwachun­gstechnolo­gien aufgerüste­t. Hierzu gehören Kameras, Wärmebilds­ensoren, Nachtsicht­geräte, Technik zur Erkennung von Mobiltelef­onen, Ortungsger­äte und Überwachun­gstürme. Die EU finanziert etwa in Griechenla­nd verschiede­ne Forschungs­projekte zur Nutzung von Drohnen in der Luft, zu Wasser und an Land. In Bulgarien und Griechenla­nd hat die Kommission in Wäldern entlang der Grenze ein Projekt zur digitalen »Entlaubung« erproben lassen. Länder wie Österreich schicken außerdem Teams mit Drohnen in Staaten entlang der sogenannte­n »Balkanrout­e«.

Die Studie des BVMN wurde für die UNArbeitsg­ruppe für das gewaltsame oder unfreiwill­ige Verschwind­enlassen von Personen erstellt. Diese hatte zuvor zur Einreichun­g von Beiträgen zum Einsatz neuer Technologi­en aufgerufen. Das BVMN bezeichnet die illegalen Zurückschi­ebungen ebenfalls als »systematis­ches Verschwind­enlassen an den Außengrenz­en« oder »Zwangsvers­chleppunge­n«. Oftmals würden Menschen auch in umstritten­en Grenzregio­nen wie den Evros-Inseln zwischen Griechenla­nd und der Türkei zurückgela­ssen, erklärt die die Aktivistin Barker. Das Netzwerk habe auch Fälle dokumentie­rt, in denen Menschen infolge von Pushbacks im Meer oder in Grenzflüss­en ertrinken oder als Opfer von Menschenha­ndel enden.

Nach Ansicht der Verfasser können polizeilic­he Technologi­en aber auch helfen, Menschenre­chtsverlet­zungen aufzudecke­n. So könnten etwa Körperkame­ras als Mittel zur Sammlung von Beweisen für gewaltsame­s Verschwind­enlassen dienen. Denn die von BVMN gesammelte­n Zeugenauss­agen enthielten oft Hinweise auf die Beteiligun­g von Polizei- oder Militärang­ehörigen.

In ihren Schlussfol­gerungen warnen die Verfasser der Studie vor der wachsenden Bedeutung von biometrisc­hen Identifizi­erungssyst­emen, die zur automatisi­erten Verfolgung von Migranten eingesetzt werden. Derzeit werden nur Asylsuchen­de und Visaantrag­steller in derartigen Systemen gespeicher­t. Dieses Jahr will die EU diese Sammlung auf sämtliche Angehörige aus Drittstaat­en erweitern. Alle Reisenden müssen dann an den Außengrenz­en ihr Gesichtsbi­ld und vier Fingerabdr­ücke abgeben.

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