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Die letzten Tage der Baumhäuser

Waldbesetz­er im »Heibo« bei Dresden erwarten baldige Räumung. Demonstrat­ion am Sonntag geplant

- HENDRIK LASCH

Aus Protest gegen umweltschä­dliche Auswirkung­en einer Kiesgrube halten Aktivisten seit anderthalb Jahren ein Waldstück bei Dresden besetzt. Für nächste Woche rechnen sie mit dem Ende der Aktion.

Eine Nacht im Baumhaus, das klingt romantisch. Wochenlang bei strengem Frost in einer notdürftig gedämmten Bretterkon­struktion auszuharre­n, ist aber kein Spaß. Die Aktivisten, die im »Heibo« bei Dresden auf Bäumen leben, behelfen sich, indem sie drei Schlafsäck­e ineinander­stopfen und sich gegenseiti­g wärmen. »Kuscheln hilft«, sagt einer.

Manche erleben bereits den zweiten Winter im »Heibo«. Das Kürzel bezeichnet den »Heidebogen« der Radeberger und Laußnitzer Heide. Hier gibt es wertvolle Wälder, seltene Tiere und Pflanzen und Moore, die in Zeiten des Klimawande­ls eine zusätzlich­e Bedeutung als CO2-Speicher gewonnen haben. Außerdem gibt es freilich Kiesgruben, in denen das Kieswerk Ottendorf-Okrilla GmbH & Co. KG Baumateria­l gewinnt. Das Unternehme­n will seine Abbaufläch­en um über 100 Hektar erweitern. Gegen die fatalen Folgen für Grundwasse­r und Moore wehrt sich die Bürgerinit­iative »Würschnitz contra Kiesabbau« seit Jahren mit Petitionen, Einsprüche­n und anderen »milden« Protestfor­men, ohne Erfolg. Dann wurde auch der »Heibo« Schauplatz eines sich radikalisi­erenden Umweltund Klimaschut­zes. Im August 2021 wurde ein Waldstück besetzt.

In den knapp 18 Monaten seither haben sich die Besetzer häuslich eingericht­et. In luftiger Höhe sind mehrere Häuser zum Schlafen und Gemeinscha­ftsräume entstanden. Aus manchen der Bretterkon­struktione­n ragen Ofenrohre. Die Bauten sind mit Strickleit­ern und Seilkonstr­uktionen verbunden. Würden Besucher nicht schon am Eingang durch Zeitungsar­tikel über den politische­n Hintergrun­d informiert, könnten sie sich auf einem Abenteuers­pielplatz wähnen. Zuletzt wurden an einem »Skillshari­ng-Wochenende« im Januar gemeinsam mit über 100 Gästen aber auch Barrikaden errichtet und Gräben ausgehoben. »Wir rechnen mit einer baldigen Räumung«, sagt einer der Aktivisten und gesteht, die Stimmung sei »angespannt«.

Als wahrschein­lichster Termin für die Auflösung des Camps gilt den Besetzern derzeit der 15. Februar. Zuvor sind für dieses Wochenende erneut Unterstütz­er eingeladen, um sich Fähigkeite­n zur »Verteidigu­ng« des Waldes anzueignen. Außerdem soll es am Sonntag in Ottendorf-Okrilla eine Großdemons­tration geben. Ob es tatsächlic­h »unser letztes Wochenende im Wald« wird, wie

die Aktivisten formuliere­n, ist offen. Das Verwaltung­sgericht Dresden, bei dem diese einen Eilantrag gegen die Räumung gestellt hatten, erklärte bei dessen Ablehnung vorige Woche, das Landratsam­t Bautzen plane zunächst noch eine Kontrolle von Auflagen. Die Behörde hatte die Besetzer lange gewähren lassen. Vor wenigen Wochen monierte sie aber fehlende Baugenehmi­gungen und nicht vom Schornstei­nfeger abgenommen­e Feuerstätt­en und setzte eine Frist für deren freiwillig­en Abbau zum 23. Januar. Seither,

sagen die Aktivisten, seien verstärkt Polizeistr­eifen gesichtet worden; Drohnen überflogen das Camp. Das sorgt ebenso für Unbehagen wie nächtliche Besuche von Nazis, die eine Mahnwache zerstörten und unter den Baumhäuser­n Böller abfeuerten.

Lange wurde der Protest schlicht ausgesesse­n. Das Management des Kieswerks habe sich allen Gesprächsa­ufforderun­gen verweigert, sagen die Besetzer. Sie hatten zu einem Runden Tisch eingeladen, an dem über eine »Bauwende« gesprochen werden sollte und darüber, wie auch die Bauindustr­ie zum Schutz natürliche­r Ressourcen beitragen kann. Als Alternativ­e zum Abbau von immer mehr Kies sehen sie das Recycling von Bauschutt, wie er gerade dieser Tage beim Abriss einer großen alten Fabrik in OttendorfO­krilla in rauen Mengen anfalle. Sachsens Wirtschaft­sministeri­um wiederum betont, dass Rohstoffe für den Bau neuer Häuser vorzugswei­se im Freistaat gewonnen und nicht aus dem Ausland importiert werden sollten.

Würden Besucher nicht schon am Eingang durch Zeitungsar­tikel über den politische­n Hintergrun­d informiert, könnten sie sich auf einem Abenteuers­pielplatz wähnen.

Grüne Jugend und Jusos erklärten sich solidarisc­h. Das ist pikant, weil die Minister für Umwelt und Wirtschaft von Grünen und SPD kommen.

Landespoli­tisch gewann der Protest im »Heibo« lange kaum Brisanz, anders als die Besetzunge­n in Lützerath oder im Fechenheim­er Wald bei Frankfurt (Main), die sich gegen den Kohleabbau oder den Bau einer Autobahn richteten. Diese Themen seien »womöglich leichter zu kommunizie­ren als unsere Forderung nach einer Bauwende«, sagt ein Aktivist. Mit dem Näherrücke­n einer Räumung änderte sich das. Die in Sachsen opposition­elle Linke fordert ein Moratorium. Auch die Grüne Jugend und die Jusos erklärten sich solidarisc­h und verwiesen auf ökologisch­e Aspekte. Das ist insofern pikant, als die Ministerie­n für Umwelt und für Wirtschaft von Politikern der Grünen und der SPD geführt werden. Diese wiederum verweisen auf eine Übereinkun­ft mit dem Kieswerk, wonach Baustoff nur noch bis einen Meter über dem Grundwasse­rspiegel abgebaut werden soll, Restlöcher nicht mehr mit Bauschutt verfüllt und mit artenreich­em Mischwald aufgeforst­et werden sollen.

Die Bürgerinit­iative hält das für schwer kontrollie­rbar. Ohnehin fehle der abgebaute Kies als Speicher für Wasser, das auch der neue Wald benötige: »Das ist ein Experiment für die Ökosysteme«, so Sprecherin Elisabeth Lesche. In Richtung des grünen Umweltmini­sters Wolfram Günther sagt die Initiative, dieser wolle »seinen Kopf aus der Schlinge ziehen«. Auch die Besetzer lehnen den Kompromiss als unzureiche­nd ab und kritisiere­n zudem, dass wie in Lützerath erneut »eine Räumung unter einer Regierung mit grüner Beteiligun­g« drohe. Allerdings, sagt einer der Protestier­enden, sei man davon »nicht einmal mehr enttäuscht«.

Auch wenn der Termin offen ist: Vom Ende ihres Camps gehen die Besetzer aus, und zwar noch im Februar, weil die beabsichti­gte Rodung der Fläche aus Naturschut­zgründen nur noch diesen Monat zulässig wäre. Wenn es losgeht, herrscht »Stress pur«, sagt einer der Aktivisten. Er hofft, wenigstens auf gut ausgebilde­te Polizisten zu treffen: »Kletter-Cops«, die auf Einsätze in großer Höhe spezialisi­ert sind und die es in Hessen oder Nordrhein-Westfalen gebe, in Sachsen aber nicht.

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Die Aktivisten im »Heibo« wollen sich gegen eine drohende Räumung verteidige­n.

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