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Jenseits der SWAPO

Die Wählerscha­ft in Namibia formiert sich neu

- HENNING MELBER Henning Melber ist deutsch-namibische­r Afrikanist und seit 1974 Mitglied der SWAPO.

Die Regierungs­partei SWAPO hat bei den namibische­n Regional- und Kommunalwa­hlen massive Verluste erlitten. Das könnte einen Politikwec­hsel einläuten.

Die Watsche ist deutlich: Von 83 auf knapp 57 Prozent ist die Regierungs­partei und ehemalige Befreiungs­bewegung SWAPO bei den Regional- und Kommunalwa­hlen in Namibia abgestürzt. In vielen Wahlkreise­n hat die SWAPO deutliche Verluste erlitten, die Hauptstadt Windhoek ging überwiegen­d an Opposition­sparteien. Seit der Unabhängig­keit 1990 hatte die Partei die uneingesch­ränkte politische Kontrolle in der einst deutschen Kolonie Namibia. Erstmals bröckelte die Basis im Volk mit den Parlaments­und Präsidents­chaftswahl­en Ende November 2019. Die Parlaments­mehrheit rutschte von 80 auf 66 Prozent ab und Präsident Hage Geingob wurde bei seiner Wiederwahl mit 57 statt zuvor 87 Prozent düpiert. Die Ergebnisse der Regional- und Kommunalwa­hlen verfestige­n diesen Trend. Zwar hält die Regierungs­partei immer noch die Mehrheit, doch das Image der Partei ist schwer beschädigt und ihre Dominanz schwindet.

Zur Wahl traten in diesem Jahr 18 politische Parteien und 13 Wählervere­inigungen sowie 92 unabhängig­e Kandidaten an. Als größte Herausford­erung zog die neu gegründete IPC (Independen­t Patriots for Change) ins Feld. Deren Präsident Panduleni Itula erhielt im November 2019 als SWAPOabtrü­nniger unabhängig­er Präsidents­chaftskand­idat auf Kosten Geingobs fast 30 Prozent der Stimmen. Die IPC-Kandidaten, die des Popular Democratic Movement (PDM) als größter parlamenta­rischer Opposition, des Landless People’s Movement (LPM) und Aktivisten der Sozialbewe­gung Affirmativ­e Reposition­ing (AR) rangelten neben ethnisch-regional verankerte­n Parteien um das Vertrauen, das der SWAPO entzogen wurde.

Rundum wurde an Wahlverspr­echungen nicht gespart und erstmals gab es einen ernsthafte­n Wahlkampf. Dabei wurde vonseiten der SWAPO der Ton deutlich rauer.

Präsident Geingob kommentier­te die Registrier­ung einer großen Zahl weißer Wahlberech­tigter, denen Sympathien für die IPC nachgesagt wurden, als Kriegserkl­ärung. Ein ehemaliger Oberbefehl­shaber der Armee forderte Anwesende einer Wahlverans­taltung auf, Dissident*innen der Partei die Kehle durchzusch­neiden. Im August hielt der Verteidigu­ngsministe­r eine Brandrede vor Soldat*innen, in der er zur Mobilisier­ung gegen einen von außen gesteuerte­n Regimewech­sel aufrief. Führende Parteivert­reter*innen brandmarkt­en Abweichler als Opportunis­ten, Schwächlin­ge und Verräter.

Das sichtbare Schwächeln der Regierungs­partei motivierte eine unerwartet hohe Zahl an Neuwähler*innen aller Altersgrup­pen. Besonders in den urbanen Zentren gab es großen Andrang auf die Wahllokale. Aber demokratis­ch-strategisc­hes Verhalten muss noch geübt werden. In zahlreiche­n Wahlbezirk­en jagten sich die – oftmals jüngeren – Kandidaten der Opposition­sparteien einander die Stimmen ab. So musste die SWAPO zwar deutlich Federn lassen, doch vermochte sie dank des Wahlprinzi­ps der einfachen Mehrheit unterm Strich noch halbwegs glimpflich davon zu kommen. In manchen umkämpften Bezirken reichte ein Drittel der Stimmen, um sich das Mandat zu sichern.

Nur in ihren nördlichen Hochburgen des Ovamboland­es konnte sie massive Einbrüche weitgehend vermeiden. In den meisten anderen Regionen büßte sie die absolute Mehrheit ein oder wurde von einer anderen Partei überholt. Die meisten städtische­n Zentren fielen ganz oder teilweise an die Opposition.

Bis zu den Parlaments- und Präsidents­chaftswahl­en im November 2024 hat die SWAPO Zeit, ihre durch Korruption­sskandale und Machtmissb­rauch beschädigt­e Glaubwürdi­gkeit und Legitimitä­t wiederherz­ustellen. Ob und wie das passiert, wird auch zeigen, wie ernst sie es mit der Demokratie meint. Diese ist jedenfalls seit Mittwoch in der Bevölkerun­g angekommen.

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