Verschärfte Verteilungskämpfe
Sozial Schwache tragen schwerer an der Coronakrise – die Aussicht auf einen Impfstoff ändert nichts daran
Berlin. Allgemeine Euphorie griff am Montag um sich, als bekannt wurde, dass die Mainzer Firma BioNTech und das US-Unternehmen Pfizer mit der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs offenbar kurz vor der Zulassung stehen. Schon in der kommenden Woche solle diese bei der US-Arzneimittelbehörde FDA beantragt werden, hieß es. Der Name des Projekts »Lightspeed« (Lichtgeschwindigkeit) ist symbolisch. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beeilte sich zu versichern, er gehe von einer parallelen Beantragung auch bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA aus. Er wolle erreichen, dass ein Impfstoff eines deutschen Unternehmens »nicht zuerst in anderen Ländern zur Verfügung steht«.
Schon in diesem Jahr könnte damit die Impfkampagne beginnen, und Gesundheitspolitiker wie Karl Lauterbach von der SPD zeigten sich ungewohnt aufgeräumt nach dieser Nachricht. Doch es deutet sich bereits an: Verteilungskämpfe werden nicht auf sich warten lassen, der Impfstoff BNT162b2 könnte Länder und ihre Bevölkerungen erneut in Gewinner und Verlierer teilen. Schon am Montag gab es an der Börse einen Vorgeschmack – mit dem prompten Anstieg der Aktien der beiden ImpfstoffHersteller selbst, aber auch von Aktien aus der Reise- und Touristikbranche, auch der DAX kletterte um mehr als 700 Punkte. Dafür knickten die Werte von Lieferdiensten wie Delivery Hero, des Laborausrüsters Sartorius und des Online-Konferenzanbieters Zoom ein und fielen teils zweistellig.
Dafür ist bei den sozialen Folgen der Pandemie alles wie üblich. Gewinner und Verlierer dürften sich auf der jeweils gewohnten Seite wiederfinden. Sozial Benachteiligte leiden stärker unter Einkommenseinbußen, unter häuslicher Beengtheit und haben weniger Mittel, Ausgleich für soziale Einschränkungen zu suchen. Auch die Mittelschicht trägt zunehmend an den Belastungen von Corona; die Verschuldung ist ein warnendes Indiz hierfür. Es droht eine zunehmende soziale Spaltung, wie Fachleute bereits warnen. Wer nun auch noch obdachlos ist oder illegalisiert – oder gar beides, gerät schnell in zusätzliche existenzielle Probleme. Dafür ist das Schicksal von Shaka beredtes Beispiel, eine Jura-Studentin, die wegen häuslicher Gewalt in ein Frauenhaus floh und nun ohne Obdach ist. Dass sie eine dunkle Hautfarbe hat, erschwert ihr den Überlebenskampf zusätzlich, wie die Reportage auf Seite 2 erzählt – weckt bei ihr aber den Willen, sich zu wehren.
Auf Hilfe von der Politik können Menschen wie sie zuletzt hoffen. Diese richtet ihren besorgten Blick derzeit auf die Wirkung der beschlossenen Maßnahmen zur Beschränkung der sozialen Kontakte im privaten Bereich. Und auf die zunehmende Belastung des Gesundheitssystems. Wie einige führende Vertreter
bei einem Besuch in der Berliner Charité erfuhren, lässt die Entwicklung der Infiziertenzahlen noch immer das Schlimmste befürchten.