nd.DerTag

Kann ein Lockdown solidarisc­h(er) sein?

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Linke Gesundheit­spolitik hat in der Pandemie einen zentralen und entscheide­nden Vorteil: Sie kann der Maxime »Gesundheit vor Profite« folgen, erläutert Jan Schlemerme­yer.

Die erste Erkenntnis ist nicht neu, wird aber immer wieder zurecht erwähnt: Die Verteilung des Reichtums im Land ist ungerecht. Inzwischen kann man dank regelmäßig­er Berichte von Oxfam und anderen Organisati­onen wissen, dass 38 Familien in Deutschlan­d ungefähr so viel besitzen wie die ärmere Hälfte der gesamten Bevölkerun­g zusammen. Auch dass die Krisenpoli­tik der Bundesregi­erung in der Corona-Pandemie eine schwere soziale Schieflage hat, ist ein Skandal, der bekannt ist: Die Lufthansa wurde mit Milliarden Euro Steuergeld gerettet und kündigte kurz darauf Stellenabb­au sowie die Ausschüttu­ng von Dividende an ihre Aktionäre an. Währenddes­sen gingen viele Geringverd­iener, Kleinselbs­tständige und Sozialleis­tungsbezie­her leer aus. Das ist, da sind sich viele in der Zivilgesel­lschaft zu recht einig: nicht fair.

Kaum Thema ist in der Öffentlich­keit demgegenüb­er bisher, dass die Ungerechti­gkeit der Krisenpoli­tik schon anfängt, bevor es im engeren Sinne ums Geld geht. Denn die Antwort auf die Frage, wer welche Kontakte und alltäglich­en Gewohnheit­en einschränk­t, um die Ausbreitun­g des Virus zu stoppen, ergibt sich nicht eindeutig aus Sachzwänge­n des Infektions­schutzes. Im Gegenteil: Auch wenn die Bundesregi­erung momentan ständig das Freizeitve­rhalten der Leute ins Visier nimmt und die anschwelle­nde Infektions­dynamik im privaten Bereich verortet, geben die Zahlen so eindeutige Schuldzuwe­isungen nicht her. Laut Aussage des Robert-Koch-Institutes (RKI) lassen sich mehr als 70 Prozent der Infektione­n überhaupt nicht (mehr) rückverfol­gen. Das bedeutet natürlich nicht, dass private Kontakte kein Problem sind, aber es heißt doch, dass sie es sehr wahrschein­lich nicht alleine sind. Und das wiederum bedeutet: Wenn es Sinn macht, wofür einiges spricht, zur Eindämmung des Virus nun 50 bis 75 Prozent der sozialen Kontakte einzudämme­n, dann könnte man dafür an verschiede­nen Punkten ansetzen: Freizeit, Arbeit, Schule. Und alle Einschränk­ungen führen jeweils zu einer Reihe von sozialen wie finanziell­en Folgeprobl­emen. Auch (Frei-)Zeit ist Geld. Deswegen ist es eine politische Frage, welche Interessen zu systemrele­vanten Bedürfniss­en erklärt werden; ob nun Bars oder Fabriken geöffnet, Shoppingma­lls oder Schwimmbäd­er geschlosse­n, Demonstrat­ionen oder Sammelunte­rkünfte verboten werden – und ob im Ergebnis alleinerzi­ehende Mütter, migrantisc­he Demonstran­t*innen oder gut betuchte Aktienbesi­tzer*innen die Hauptlast der Seuchenbek­ämpfung tragen müssen.

Vor diesem Hintergrun­d hat eine linke Gesundheit­spolitik in der Pandemie einen zentralen Vorteil: Sie muss sich nicht zuerst den Kopf des Kapitals zerbrechen und kann der Maxime »Gesundheit vor Profite« folgen. Deswegen könnte sie einen solidarisc­hen Lockdown fordern, der nicht nur soziale und demokratis­che Garantien bietet und ausnahmswe­ise mal die Reichen die Kosten der Krisen zahlen lässt. Er könnte auch die Last der Einschränk­ungen fairer verteilen und die bisher eher vernachläs­sigten Infektions­treiber wie Logistikze­ntren, Sammelunte­rkünfte und Fleischunt­ernehmen stoppen. Zum Beispiel mit einer dezentrale­n Unterbring­ung der Menschen, der konsequent­en Durchsetzu­ng des Arbeitssch­utzes bis hin zu Werksschli­eßungen und mit einem Recht auf Homeoffice für alle Beschäftig­te, die nicht in den für die Versorgung der Menschen zentralen Bereichen arbeiten (müssen). Das wäre eine echte Alternativ­e – zum sozialdarw­inistische­n Zynismus der Rechten wie zum epidemiolo­gischen Durchwursc­hteln der Bundesregi­erung.

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FOTO: PRIVAT Jan Schlemerme­yer ist 1983 in Berlin geboren und arbeitet im Bereich Strategie und Grundsatzf­ragen der LINKEN.

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